Fürther Kirchenmusiktage voller Klangerlebnisse

27.11.2017, 19:15 Uhr
Fürther Kirchenmusiktage voller Klangerlebnisse

© Foto: Tim Händel

"Reibungsfläche Reformation" lautet das Motto der diesjährigen Fürther Kirchenmusiktage. Das klingt reichlich aggressiv. Doch wenn Musik und Reformation sich aneinander reiben, kommt ein gar köstlich Mehl dabei heraus - wie etwa beim Konzert in St. Michael, das der Kirchenmusik im Jahrhundert nach der Reformation gewidmet war.

Für den Musikfreund beginnt die evangelische Kirchenmusik gewöhnlich mit Johann Sebastian Bach. Der ist aber schon 202 Jahre jünger als Martin Luther. Und die Zeit dazwischen? Außer lutherischen Chorälen nur Funkstille? Nein, da gibt es ja noch Namen wie Heinrich Schütz (1585 bis 1672), Hermann Schein (1586 bis 1630) und Johann Rosenmüller (1617 oder 1619 bis 1684), die es aus dem musikalischen Dunkel hervorzuholen gilt.

Zu den Paradoxien der evangelischen Kirchenmusik gehört, dass diese drei Komponisten sich allerdings von der italienischen Kirchen- und frühen Opernmusik venezianischer Prägung haben anregen lassen. Schütz hatte gut zwei Jahre in Venedig verbracht, Rosenmüller gar ein Drittel seines Lebens. Was nun nicht heißt, dass ihre Psalmvertonungen, Lobpreise und Trostlieder opernhaft dramatisch daherkommen. Und doch gibt es da einige dramatische Finessen, die aufhorchen lassen.

Auseinandersetzung mit dem Tod

So lässt Rosenmüller in seiner Komposition "Christus ist mein Leben" die Schlüsselworte "sterben", "abscheiden" und "so schlaf ich ein" nacheinander durch sämtliche Singstimmen vom Sopran bis zum Bass artikulieren. Das prägt sich ein ins Ohr. Man sollte meinen, eine mehrfache Wiederholung wirke aufdringlich, doch das Gegenteil ist der Fall. Rosenmüller lässt den Hörer akustisch nachvollziehen, wie jeder Stimmcharakter sich mit dem Tod auseinandersetzt und ihn schlussendlich annimmt. Eben das ist die Kunst von Schein, Schütz und Rosenmüller (dessen Werke den Löwenanteil des Programms beanspruchten): die Texte liefern nicht den Vorwand für schöne Melodien und kunstvolle Ausgestaltungen, sie verlangen nach musikalischer Interpretation. Der Komponist stellt sich in den Dienst des Wortes.

Das setzt natürlich eine hohe Textverständlichkeit der Interpreten des "Ensemble 1684" voraus, die, unterstützt von der Fränkischen Kantorei, keine Mühe haben, sich über ein überschaubares Orchester aus Violinen und Bratschen, Posaunen und angenehm weichen Zinken, sowie Orgel, Laute und Violon zu behaupten.

Die eigentliche Kunst besteht darin, einzelne Worte und Textpassagen gesanglich derart aus dem Kontext herauszulösen, sie sozusagen mit der Stimme zu markieren. So wird seelische Not musikalisch erfahrbar, wie auch der vom Bass verkündete Trost "Heute wirst du mit mir im Paradiese sein." So werden in der Jesaja-Vertonung die Worte "Wasser - Ströme - Feuer - Flamme" als lebensbedrohende Metaphern vom Solosänger gesanglich ausgewalzt, bis der Chor geschlossen die Rettung verkündet: "Denn ich bin der Herr, dein Gott."

Gregor Meyer und Ingeborg Schilffahrt am Dirigentenpult hatten denn auch keine Mühe, diese musikalischen Textinterpretationen höchst transparent und bei aller Zurückhaltung herzergreifend zu einem außerordentlichen Klangerlebnis zu gestalten.

PVier Choralfantasien von Johann Sebastian Bach aus der "Clavier-Übung dritter Teil", nicht nur für "Liebhaber und Kenner" aneinandergereihter Orgelstücke, sondern auch eine musikalische Hinführung zum Glauben, bildeten das Grundgerüst des Orgelkonzerts von Andreas König in St. Heinrich im Rahmen der Fürther Kirchenmusiktage. Das Faszinierende an der Programmfolge aber war, dass zwischen diesen Werken kontinuierlich Stücke aus dem 19. und 20. Jahrhundert erklangen – barockes Ebenmaß contra spätromantische und moderne Klangwelten.

Ein Werk ragte aus dieser Abfolge heraus, das man in einem Orgelkonzert eigentlich gar nicht vermutet, und stand wohl nicht zufällig in der Programmmitte: der 1. Satz "Engelskonzert" aus der Symphonie "Mathis der Maler" von Paul Hindemith in einer Bearbeitung für Orgel (2012) von Heribert Breuer. Diese Symphonie wurde schon vor der gleichnamigen Oper, in deren Mittelpunkt der Maler des Isenheimer Altars Mathis Grünewald steht, vollendet und von Wilhelm Furtwängler uraufgeführt. Hindemith hat aus den Altartafeln das Bild "Engelskonzert" ausgewählt, auf dem in einem spätgotischen Gehäuse Engel vermutlich für die hochschwangere Maria rechts im Bild musizieren, im Vordergrund ein Engel mit einer Bass-Viola.

"Gewaltige Pedalsprünge"

Der Komponist hat im Jahr 1934 in Zeiten der Zwölftonmusik eine Bildbeschreibung mit musikalischen Mitteln erstellt, ein Beispiel symphonischer Programmmusik. Das vielschichtige Werk mit spätromantischen und bisweilen sphärenhaften Klängen, dann wieder Rhythmen und Klängen des 20. Jahrhunderts, ohne die Tonalität gänzlich zu verlassen, breit ausgeformten Klangbildern und fulminanten Klangsteigerungen hatte in Andreas König einen exzellenten Interpreten, der mit perfekter Virtuosität und ausgefeilter Registrierung die klanglichen Möglichkeiten der dreimanualigen Eisenbarth-Orgel bis zum strahlenden Tutti-Dur-Schluss grandios ausschöpfte.

Mit César Francks Choral Nr. 1 hatte König einen weiteren "Orgelbrocken" ausgewählt und virtuos gemeistert. Auch hier wurden mittels variabler Registrierung die impressionistischen Klangfarben in den ruhig fließenden Passagen im ersten Teil klangschön wiedergegeben, ehe dann massive Akkordballungen und Klangsteigerungen zu einem strahlenden Abschluss führten. Sein Landsmann Jehan Alain (1911 – 1940) lässt in den Variationen über ein Thema von Clément Janequin das ruhig fließende Thema in dynamischen Abstufungen und fein dosierter Registrierung immer wieder hörbar werden, ehe das Stück in Dur verklingt.

Mit Marcel Dupré (1886 – 1971) kam in Präludium und Fuge g-moll op. 7 Nr. 3 ein weiterer Franzose zu Wort, ein mit einem Klangteppich unterlegtes virtuoses Figurenspiel im Präludium, eine Fuge mit einem rhythmisch pointierten Thema wird mit Klangsteigerungen in gleißenden Orgelfarben zu einem sensationellen Tutti-Schluss geführt.

Nach der vierten Choralfantasie "Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt" von Johann Sebastian Bach setzte Andreas König mit einem virtuosen Reißer, der "Carillon-Sortie" (1954) des Belgiers Richard Frèteur einen tollen Schlusspunkt. Das liedhafte Thema wird zunächst nur umspielt, ehe es im mächtig aufbrausenden Orgelklang mit gewaltigen Pedalsprüngen zu einem rauschhaften Abschluss geführt wird.

Begeisterter Beifall einer allerdings eher bescheidenen Zuhörerschar für ein außergewöhnliches Programm und einen exzellenten Interpreten.

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