Fürther Türken blicken aufgewühlt in die Zukunft

18.4.2017, 11:00 Uhr
Fürther Türken blicken aufgewühlt in die Zukunft

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Jetzt erst recht: Eine Gruppe junger Türken aus dem Großraum ist gezielt zur Fürther Auftaktkundgebung des Nürnberger Ostermarsches an der Auferstehungskirche gekommen, um ihre kritische Einstellung zur Verfassungsreform zu demonstrieren. Nein, mit diesem Ausgang hat sie nicht gerechnet, sagt Hülya Dalgiç. Alle ihre Bekannten seien dagegen gewesen. Sie befürchtet nun eine Zunahme gewalttätiger Auseinandersetzungen in der Türkei.

Der Widerstand vor allem in den türkischen Metropolen stimmt Meral und Nezahat Bülbül, Mahþeker Þahverdi, Tülay Fiorello, Gülay und Altan Þengül an ihrer Seite dennoch optimistisch, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Dass die Zustimmung unter Türken in Deutschland überwog, erschreckt Ceylan Gündoðan. "Schlimm", findet das auch der persönlich enttäuschte Aydin Kaval.

"Ich bin nicht gegen Erdoðan, sondern gegen das Präsidialsystem", erläutert der SPD-Stadtrat seine grundsätzlichen Bedenken. Er weiß, dass im Türkisch-Islamischen Kulturzentrum Ditib eine konträre Meinung vorherrscht. Zum Zerwürfnis mit seinen Bekannten dort werde die Diskussion allerdings nicht führen.

Verständnis für die Befürworter hat die Fürther Vorsitzende des deutsch-türkischen Frauenclubs Nordbayern, Gülseren Suzan-Menzel: "Wir versuchen, unsere eigene Demokratie als islamisches Land zu entwickeln, ohne den Druck der EU." Der Wahlausgang spiegele ein Land wider, das nie homogen gewesen sei. Mitverantwortlich für die Entwicklung macht die Fürtherin die Vorbehalte gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU. Nun gelte es, die Wogen in der Türkei zu glätten. Es gebe schließlich keine Alternative zur Verständigung.

Dass die Abrüstung in den Köpfen beginnen muss, fordert bei den Reden zur Kundgebung der katholische Dekan André Hermany und bezieht sich dabei auf das Referendum. Der Siegeszug des nationalistischen und faschistischen Gedankenguts beunruhigt SPD-Stadtrat Rudi Lindner. Und Niklas Haupt von der Linkspartei sieht eine Militarisierung immer weiterer Lebensbereiche in der Türkei. Nicht der IS-Terror sei das Ziel, sondern kurdische Regimekritiker. Erdoðan habe der Bevölkerung mit der Verlängerung des Ausnahmezustands den Krieg erklärt.

Einen engagierten Appell, "die 50 Prozent zu unterstützen, die gegen die Verfassungsänderung gestimmt haben", setzt Murat Bülbül, dritter Bürgermeister Zirndorfs, dem Ausgang der Abstimmung entgegen. Der 51-Jährige mit deutschem Pass, der als Neunjähriger mit seinen Eltern in der ersten Gastarbeitergeneration nach Deutschland kam, hat nach wie vor Kontakte in die Türkei, auch politische. Er hat gestern mit Vertretern der oppositionellen CHP, unter deren Flagge er 2015 fürs türkische Parlament kandidierte, telefoniert. Sie hätten ihm von massiven Wahlmanipulationen der Erdoðan-Anhänger berichtet. "Eigentlich", so Bülbül, "haben 52 Prozent gegen die Verfassungsreform gestimmt." Bei seiner Präsidentenwahl habe Erdoðan noch mehr Unterstützer gehabt. Bülbül sieht nun dessen "Boot am Sinken".

Umso wichtiger sei es, die demokratischen Kräfte, die Nein sagten, zu unterstützen. "Mit ihnen müssen wir in Kontakt bleiben und versuchen, sie zu stärken", meint Bülbül. Auch wenn er seit 40 Jahren hier lebe, könne er nicht "wegsehen, wenn in dem Land, in dem meine Wurzeln liegen, keine Gerechtigkeit herrscht und der islamistische Fundamentalismus vorangetrieben wird. Das werden auch wir in Europa zu spüren bekommen.Wenn wir uns da nicht einmischen, machen wir uns mitschuldig".

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