Gedankenströme made in Fürth

1.8.2012, 10:30 Uhr
Gedankenströme made in Fürth

© Th. Scherer

Poesie-Abende? Dichterlesungen? Da assoziiert man gepflegte Langeweile bei Kerzenschein, allgemeine Ratlosigkeit bei Sprachexperimenten, Hape Kerkelings Hurz-Sketch. Junge Menschen können dem nichts abgewinnen. Dafür platzt die Jugendpoesie aus allen Nähten. Poetry Slams finden seit Jahren Zulauf und Begeisterung, denn hier gesellen sich zur lyrischen Empfindsamkeit Wortakrobatik, selbstbewusstes Auftreten und theatralische Umgangsformen vom Urschrei bis zum Nervenzusammenbruch. Und natürlich musikalische Begleitung, meist in Gestalt des Rap.

Wie kommt die Poesie unters Volk? Entweder in Buchform (kauft keiner) oder im Vortrag (bald wieder vergessen) — oder im Internet (stets verfügbar). Die 17-jährige Fürtherin Nina Paul hat ihren ersten Gedichtband „Gedankenstrom“ nicht etwa zwischen zwei Pappdeckel gepresst, sondern akustisch ins Netz gestellt. Ihre gleichaltrige Kollegin Jennifer Reif liest die Gedichte mit Emphase. „Die Jenny hat einfach eine bessere Stimme als ich“, gibt Nina neidlos zu. Dazu gibt es für jedes Gedicht eine Klanguntermalung aus Musik und Soundeffekten.

Der Komponist Robert Külpmann verdunkelt den Himmel mit wolkigem Synthigewaber, manchmal kehrt er auch orchestrales Pathos wie aus „Gladiator" heraus; dazu vernimmt man Regenprasseln am Fenster, Halleffekte, Schluchzen und brüllenden Pöbel. Für die akustische Untermalung saß der 19-jährige Sirius Kestel, Schüler und Hörspielproduzent, ein halbes Jahr lang fast jeden Tag im Tonstudio, die Musik kam per Fernzuspielung aus dem Rheinland hinzu.

Warum eigentlich Klanguntermalung? „Poesie klingt für Jugendliche langweilig, die können mit Goethe und Schiller nichts mehr anfangen“, erzählt Sirius Kestel, „wir aber wollten das peppig machen.“ Dichterin Nina Paul ergänzt: „Wir wollen Poesie den Jugendlichen mit Musik und Klang zugänglich machen.“

Ich-Findung

Und der Eindruck bei der Vorstellung im Zett 9, unterstützt von den Gast-Poeten Alexandra Mock und Jim Hardcore? Nina Pauls Gedichte drehen sich meist um die Ich-Findung, um den Zwist zwischen der Erwartungshaltung der Erwachsenen und der eigenen Position, um Kummer und Leid, um Freude zu zweit. Die Klangtapete greift zurück auf eine Ausdrucksform des 19. Jahrhunderts, auf das Melodram. Das kombiniert gesprochenen Text mit Musik und Klangmalereien, was gelegentlich erheiternd wirkt. Wer einmal die „Lenore“ von Franz Liszt gehört hat, vergisst es fürs Leben nicht.

Ähnlich interessant wirkt dann auch die Poesie von Nina Paul im Zusammenhang mit Soundeffekten: „Umgeben von Fremden fühle ich mich unwohl, wie eine Erdbeere, umgeben von Blumenkohl.“ Wem’s gefällt, kann den „Gedankenstrom" seit Freitag kostenlos herunterladen unter www.hörwelle.de/Gedankenstrom

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