Geschichte zum Anfassen in Langenzenn

2.8.2016, 17:36 Uhr
Geschichte zum Anfassen in Langenzenn

© Petra Fiedler

Es ist nur eine siebte Klasse, aber man bekommt einen vagen Vorgeschmack, wie sich die Vorbereitungen für einen Kriegszug angehört haben mögen: ziemlich laut. Stefan Horvath, der eigentlich an der Fichtelgebirgs-Realschule in Marktredwitz unterrichtet, ist an diesem Vormittag der Herr der Waffenkammer. In seinem Wams und mit Schwert und Axt in der Hand wirkt der Blondschopf selbst wie die Reinkarnation eines Clanchefs der Wikinger.

Und so sehr es reizt, die Helme einmal aufzusetzen und das Kettenhemd überzustreifen, Horvath kann durchgreifen: „Ruhe heißt Ruhe, wenn ich was zu sagen habe“. Ein Blick aufs Unterrichtsmaterial beweist, dass Disziplin nötig ist. Denn Messer, Schwerter und Äxte sind echte Waffen und kein Spielzeug aus der digitalen Welt. „Dort“, sagt Horvath, „geht es um Unverletzlichkeit. Im Mittelalter ging es darum, die Schwere einer Verletzung zu mildern.“

Was kostet ein Kettenhemd?

Während die Schülerinnen und Schüler das Kriegsgerät eines Sachsen aus dem elften Jahrhundert inspizieren, erfahren sie ganz nebenbei von den Lebens- und Arbeitsbedingungen. Zu Letzteren gehörte auch, dass man als Leibeigener für seinen Herrn in den Krieg zu ziehen hatte. „Was kostete so ein Kettenhemd“, will ein Schüler wissen und erfährt, dass man dafür den Gegenwert einer Kuh ausgeben musste.

Ein toter Gegner war einer guter Gegner, vor allem, wenn er gerüstet war. Der Lohn für das blutige Kriegshandwerk war der Erlös aus dem Verkauf der erbeuteten Ausrüstung. „Für einen, der nur das besaß, was er auf dem Leib trug, war das ein Vermögen und sicherte das Überleben der eigenen Familie“, erzählt Horvath und merkt nebenbei an, dass eine Kuh Wohlstand darstellte und Tiere unter dem Strohdach als vierbeinige Heizkörper dienten.

Ruhiger und konzentrierter geht es nebenan bei den Bogenschützen zu. Stefanie Hederer, angetan mit einem bodenlangen Kleid und das Haar geflochten, gibt Anweisungen: Wie den Bogen halten, wie den Pfeil einlegen, wie das Ziel fixieren. Auch hier hat das sportliche Spiel einen ernsten Hintergrund. „Die Jagd war Existenzsicherung“, erklärt sie knapp. Im Mittelalter sei der Ackerbau noch auf recht primitiver Stufe praktiziert worden. Missernten, Verwüstung oder Diebstahl waren an der Tagesordnung. Der Hunger sei eine ständige Bedrohung gewesen.

Reiseproviant anno dazumal sah so aus: ein wenig Salz und gemahlenes Getreide. Jochen Blondke lässt die Schüler daraus einen zähen Teig zusammenrühren. „Das war die Verpflegung“, verweist er auf das auch heute noch beliebte Stockbrot. Wenn man es schön aufwickle, sei es nach zehn Minuten fertig. So habe es schnell die hungrigen Mägen auf langen Märschen oder im Kriegslager gefüllt.

Stefanie Hederer (Realschule Langenzenn), Jochen Blondke (Liebfrauenhaus Herzogenaurach) und der Marktredwitzer Stefan Horvath sind die Initiatoren des Projekttages „Mittelalter macht Schule“. Er ist so gut konzipiert, dass sich die drei Pädagogen 2013 unter den besten Zehn beim Deutschen Lehrerpreis wiederfanden.

„Nein, reines Schulwissen allein reicht nicht aus“, verrät Stefanie Hederer und präsentiert die in Kleider- und Speisekammer verwandelten Unterrichtsräume. Viele Utensilien wie handgenähte Schuhe, grobes Strick- und Kochzeug stammen aus Privatbesitz. „Das Mittelalter ist unser Hobby“, beantwortet sie die Frage, wie das Schulprojekt erarbeitet wurde.

Hederer und ihre beiden Kollegen vermitteln das Mittelalter nicht nur als Unterrichtseinheit. „In Museumsdörfern stellen wir das Leben dieser Zeit dar“, verrät sie. Die nächste Reise wird nach Dänemark gehen. Dann könne man ihnen als Wikingern über die Schulter schauen.

Was mit schulübergreifend gemeint ist, erklären die Pädagogen. Sie gehen quasi auf die Reise mit ihrem Projekt. „Wir ziehen den Projekttag gemeinsam beim jeweiligen Kollegen an dessen Schule durch. Heute ist Stefan Horvath in Langenzenn, nächste Woche sind wir bei ihm in Marktredwitz“, beschreibt Stefanie Hederer die Kooperation.

Gen Himmel gerichtet

Die Mädchen der 7 b sind nach dem Unterricht in Geschichte und Kunst und dem Projekttag gerne bereit, das neu erworbene Wissen weiterzugeben. Erstaunlicherweise ist es die mittelalterliche Baukunst, die bei ihnen einen besonderen Eindruck hinterlassen hat. Sie erzählen von der Burg Gottes in der Romanik, während in der darauffolgenden Gotik die Kirche als heilige Stadt Gottes gesehen wurde. Alles habe nach oben, zum Himmel gezielt, beschreiben die Schülerinnen die Kathedralen. Und bei all der Begeisterung herrscht, was die Lebensumstände anging, uneingeschränkte Einigkeit: „Im Mittelalter hätten wir nicht leben wollen“.

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