H wie Heiter

14.8.2012, 19:00 Uhr
H wie Heiter

© Hans-Joachim Winckler

Das erste, einschneidende Namenserlebnis hatte Waltraud Heiter im Wöchnerinnenbett. Ihre Tochter war gerade geboren und die junge Mutter hatte den Babyblues. „Was soll denn das?“, rüffelte der Arzt. „Nomen est omen: Sie heißen Heiter, Sie müssen strahlen.“ Daran habe sie später immer wieder denken müssen, wenn es in ihr einmal nicht gut ging, erzählt Waltraud Heiter.

Übung im Unglück hatte sie schon mehr als genug. 1942 wurde Waltraud Tatsch in den Zweiten Weltkrieg hineingeboren. Sie war gerade vier Wochen alt, als die Familie nach Metz in Lothringen umzog, und erlebte die letzten Kriegstage in Rothenburg ob der Tauber. „In den Bombennächten haben sie mich in eine leere Kartoffelkiste gesteckt“, erinnert sie sich.

Später wohnten Mutter und Kind in Oberasbach. Der Vater war in Kriegsgefangenschaft, kehrte Ende 1946 „dreckig und zerlumpt“ heim und durfte als ehemaliger SS-Mann nicht arbeiten. Die Ehe der Eltern zerbrach einige Jahre darauf, die Mutter kam mit ihren beiden Töchtern im Mutter-Kind-Heim in der Halskestraße unter.

Waltraud war schwer krank und musste mit Gelenkrheuma ins Kindersanatorium, wurde dann zu den Großeltern väterlicherseits nach Saarbrücken verfrachtet. Ein großbürgerliches Haus ohne jede Spur von Großherzigkeit. „Was wir haben, musst du dir erst verdienen“, sagte die Großmutter. Um jedes Stück Brot musste die Enkelin bitten, abends saß sie an der Strickmaschine und wurde zur Lehre in ein Handarbeitsgeschäft gegeben. Wäre ihre Chefin — Lichtblick und Mutterersatz — nicht gewesen, sie hätte es dort nicht ausgehalten.

1958 heiratete ihre Mutter wieder, die Großeltern schickten die ihnen lästige Enkelin zurück nach Fürth. Auch hier war sie nicht willkommen, fühlte sich abgelehnt von der Mutter und fremd zwischen Stiefgeschwistern. Ihr Glück war, dass sie über das Arbeitsamt eine Ausbildungsstelle beim Modehaus Fiedler fand. Vermittelt von Frau Heiter, zu der sie später „Tante Else“ sagen würde.

Infiziert mit dem Virus des Helfenwollens

Wie sich der sprechende Name schreibt? „Heiter, so wie das Wetter sein sollte“, sagt Waltraud Heiter gern. Denn die dunklen Wolken über ihrem Leben zogen fort, als sie Günter Heiter kennenlernte. Am 17. Oktober 1959 — ein Datum, das wie Neonschrift leuchtet — beim Tanz. „Bloß keinen Polizisten!“, hatte sich Waltraud Heiter geschworen und ist seit 49 Jahren mit einem verheiratet. Als sie mit 21 Jahren heiratete, war sie noch erbarmungswürdig dünn. Sie wog 37 Kilo, das musste sich ändern. Wieder hatte Tante Else eine Idee. So kam Waltraud Heiter zu Dr. Grabner Senior, wo sie „Poldi“ genannt und wie eine Haustochter behandelt wurde. Sie lernte Steno und Schreibmaschine und begleitete den Arzt bei Hausbesuchen.

Dabei muss sie sich mit dem Virus des Helfenwollens infiziert haben, der sie Mitte der 80er Jahre zum BRK Fürth führte. Doch zuvor bekam sie in kurzem Abstand Tochter und Sohn, ging bald wieder arbeiten und übernahm bei Büromöbel Wennig die Lohnbuchhaltung.

Ihre Kinder waren fast erwachsen, als sie einen Yoga-Kurs beim BRK besuchte und eine entscheidende Weiche stellte. „Das Rote Kreuz prägte mein Leben“, sagt Waltraud Heiter heute. Sie stieg 1984 als Ehrenamtliche ein, gab Sportkurse, fuhr im Rettungsdienst und unterrichtete. Fotos von damals zeigen eine sehr aufrechte Frau mit entschlossenem Gesichtsausdruck. „In meinem Leben habe ich mir nie was zugetraut“, erinnert sich Waltraud Heiter. Aber schon ein Jahr später setzte sie sich unter 70 Bewerbern durch und gehörte dann zu den Hauptamtlichen: Das Blutspendewesen zählte zu ihren Aufgaben, genauso wie die Frauenbereitschaft, Schwesternhelferinnen und die Abrechnung mit den Krankenkassen.

1990 wechselte sie noch einmal den Beruf. Sie wurde „Leichenfrau“ in einem Bestattungsunternehmen. „Diese zwölf Jahre waren meine schönsten“, bilanziert Waltraud Heiter. Sie genoss, dass existenzielle Erfahrungen zählten — nicht Äußerlichkeiten. Sie war ganz nah an den Hinterbliebenen und konnte helfen, denn bei Rentenfragen und im Versicherungsrecht kannte sie sich bestens aus. „Jeder Beruf, jede Sparte hat mich im Leben weitergebracht“, sagt Waltraud Heiter. Mit inzwischen 70 Jahren konzentriert sie sich auf Schwerpunkte: „Meine ganze Kraft steckt im Grete-Schickedanz-Altenheim.“ Eine charmante Untertreibung, denn Waltraud Heiter ist stellvertretende Kreisbereitschaftsleiterin, sie leitet den Arbeitskreis Pflege und Soziales und ist zudem noch Mitglied im Vorstand des Fürther BRK.

Wann immer sie sich mit Namen vorstellt, sagen viele: „Ach, so ein schöner Name!“. Das findet Waltraud Heiter auch. Sie strahlt: Im April ist sie Oma geworden, der kleine Enkel wird den Namen weitertragen.

 

Keine Kommentare