In der Arena der Oberschicht

22.12.2014, 20:15 Uhr
In der Arena der Oberschicht

© Foto: Bernd Böhner

Wie soll’s denn heißen, das Baby im Bauch? Ein Bub ist es, sagt der Ultraschall. Also ein männlich markanter Name mit A, verkündet der werdende Vater Vincent seiner Schwester Babou, deren Mann Pierre und dem Stiefbruder Claude. Das Ratespiel würzt das gemeinsame Abendessen der Besserverdiener. Alexander? Achilles? Albert? Dreimal Nein. Adolphe soll er heißen.

Wie bitte? Doch nicht wie der Hitler? Der schreibt sich zwar hinten mit einem f, aber phonetisch läuft’s auf dasselbe hinaus. Gibt es denn keinen guten Adolf? Wem fallen noch die Filmstars Adolphe Menjou und Adolf Wohlbrück ein? Oder gar Adolphe Sax, dem sämtliche Jazzer zu ewigem Dank verpflichtet sind? Nein, der böse Adolf aus Braunau überschattet sie alle, auch den eigentlichen Namenspatron Adolphe, eine Romanfigur von Benjamin Constant.

Nun ist „Der Vorname“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière eine französische Komödie. Der Name Adolphe ist in Frankreich zwar auch nicht gelitten, aber anders belastet als in Deutschland. Während wir uns hierzulande für Adolf in Grund und Boden schämen, blasen die Franzosen zur Attacke. Adolf ist der Aggressor von außen, bei uns Deutschen kommt er von innen. So gesehen, ist für einen Franzosen „Adolphe“ so abwegig und gleichzeitig humoresk, als würde ein Deutscher seinen Buben Napoleon nennen. Oder - bleiben wir bei der Literatur - nach Werther.

Klar, da purzeln die Einwände im Dutzend und Vincent genießt das Spektakel. Er verteidigt den Namen Adolphe gegen seinen prominenten Träger, erklärt die Namenswahl gar zum antifaschistischen Akt. Übrigens: Wieso nennen Pierre und Babou ihre Kinder Athena und Adonas? Entspringt das nicht einem Exklusivitätsanspruch? Oder gar einer ausgeprägten Profilneurose?

Liberale Abgründe

Freunde französischer Salonkomödien wissen spätestens seit Yasmine Rezas Überraschungserfolg „Kunst“: die Diskussion um den Vornamen ist nicht das Zentrum, es ist lediglich das Einfallstor einer Kampfarena für drei Männer und zwei Damen der intellektuellen Oberschicht, die sich ethisch gegenseitig an die Gurgel fahren und ihre Liberalität durch ihr Verhalten und Argumentieren selbst decouvrieren.

Und so verlagert sich das Interesse des Zuschauers schnell vom Namensstreit auf die Figuren und ihr Gebaren. Der Immobilienmakler Vincent weiß sich in Szene zu setzen, stets findet er ein Thema zum Streit, und wenn nicht, dann erfindet er eins. Sein Ziel: sich seine Überlegenheit immer wieder aufs neue zu beweisen.

Welche Abgründe der Minderwertigkeit müssen in ihm klaffen? Martin Lindow deutet sie hinter der selbstgewissen Fassade nur an. Sein eloquenter Gegenspieler Pierre gerät jedesmal in die Defensive, da er außer moralischer Entrüstung argumentativ nicht viel zu bieten hat. Christian Kaiser weiß die Frustration von Grad zu Grad zu steigern.

Doch der wahre Gegenpol Vincents ist der schweigsame Musiker Claude (Benjamin Kernen). Der beobachtet still das Geschehen, wird selbst zum Opfer schlüpfriger Vermutungen - und doch zündet ausgerechnet er im Lauf des Abends die dickste Bombe . . .

Selten hat man auf so hohem Niveau gelacht. Den männlichen Hauptdarstellern bietet das Stück ein dankbares Vehikel für einen Mehrfachfrontenkrieg, da die Konstellationen und Bündnisse im Zehnminutentakt wechseln. Leider kommen Anne Weinknecht (Babou) und Julia Hansen als werdende Mutter etwas zu kurz: Während die drei Gockel sich beharken, verfolgen die beiden Frauen fassungslos und eher passiv die Eskalation, bis Babou kurz vor Schluss zum finalen Rundumschlag ausholt.

Auch wenn am Ende alles in Scherben liegt, stiftet der Epilog eine Versöhnung mit Aufschub. Da ist die nächste Mine bereits gelegt. Naht da vielleicht eine Fortsetzung? Bitte, gerne!

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