In Roßtal Pulzermärtl a. D.

22.10.2016, 13:00 Uhr
In Roßtal Pulzermärtl a. D.

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Seit 1974, als der frühere Herbstmarkt mit neuem Konzept als Martinimarkt an den Start ging, hat Hemmeter Jahr für Jahr Generationen von Kindern am Rathausplatz mit den Martinerla — einem Schmalzgebäck in der Form eines stilisierten Sankt Martin mit Mitra und Mantel — beschenkt. Zwei Ponys, Bobby und Max, die ihn in der Kutsche auf den Rathausplatz zogen, hat er dabei überdauert. Doch mit mittlerweile 80 Jahren will es der Unruheständler jetzt doch etwas ruhiger angehen. Zuhause, im Garten und auf der Streuobstwiese, wartet genug Arbeit „und so leicht tut man sich in dem Alter halt doch nicht mehr“.

Zumal sich mit Gegner ein Nachfolger anbot, „wie man nicht gleich wieder einen findet“, erklärt Hemmeter seinen Abschied von der grimmig-heidnischen Perchtgestalt, die in Roßtal Pulzermärtl heißt. Die beiden kennen sich aus der Theatergruppe des Turnvereins, deren Leitung Gegner vor 13 Jahren ebenfalls von Hemmeter übernahm und als deren Stückeschreiber der 43-Jährige zwischenzeitlich eine ansehnliche Fangemeinde hinter sich weiß.

Dass Gegner künftig die Rolle des schaurigen Kauzes aus dem Buttendorfer Wald übernehmen darf, ist ihm „eine sehr große Ehre“, wie er sagt: „Der Pulzermärtl begleitet mich seit Kindertagen. Dem Martinimarkt haben wir entgegengefiebert. Es war für uns das Highlight, mehr noch als die Kirchweih.“ Anders als viele andere Gleichaltrige wusste er allerdings früh um die wahre Identität der vorweihnachtlichen Figur mit Zottelbart: Sein Vater und Hemmeter kannten sich seit Schultagen.

Während sich der Pulzermärtl als die im evangelischen Franken eigentlich angestammte Tradition zusehends rarer macht, „weil er von Studenten im roten Nikolausmantel und der Coca-Cola-Version Santa Claus verdrängt wurde“, wie Hemmeter beklagt, ist das Interesse an der Roßtaler Variante ungebrochen. Der Auftritt des Pulzermärtls exklusiv zum Markt-Sonntag (Ausnahmen gab es nur zu ganz besonderen Anlässen) lockt Jahr für Jahr mehr Gäste, so ist zumindest der Eindruck von Bürgermeister Johann Völkl. „Je nachdem, wie das Wetter mitspielt, kommen am Markt-Wochenende 15 000 bis 20 000 Besucher nach Roßtal.“

„Wunderschöne Kulisse“

Ein Publikumsmagnet war der Martinimarkt schon immer, wofür Hemmeter den Termin eine Woche vor dem Volkstrauertag verantwortlich macht. Der Markt füllt eine Lücke im Veranstaltungskalender: Die Herbstmärkte sind gelaufen, die Adventsmärkte lassen noch auf sich warten. „Und im Herbst ist unser Oberer Markt vor der Kulisse historischer Fachwerkbauten wirklich wunderschön“, meint Völkl.

Vergangenes Jahr hat Gegner Hemmeters Auftritt mit der Kamera begleitet und ihm den Film zur Erinnerung auf CD gebrannt. Dem neuen Pulzermärtl dient der Streifen als Anschauungsmaterial, darüber hinaus „hab’ ich ja einen guten Coach“, meint Gegner und klopft Hemmeter auf die Schulter. Der blättert in zwei dicken Ordnern voller Zeitungsberichte und Fotos zu seiner Martinimarkt-Karriere. Die wird er dem Heimatverein überlassen, das ist schon mit dessen Vorsitzendem Johann Völkl ausgemacht.

Und auch die handgefertigten und genagelten Röhrenstiefel, die Hemmeter von seinem Großvater erbte und die den Pulzermärtel 42 Jahre lang über den Martinimarkt trugen, würden sich gut in der Abteilung zu altem Handwerk im Museumshof machen, überlegt er. Gegner passen sie nicht, er geht auf erheblich größerem Fuß. Er ist mit 1,98 Meter von fast hünenhafter Gestalt. Weshalb Gegner den historischen Offiziersmantel, der schon den Russland-Feldzug im Ersten Weltkrieg miterlebte und Hemmeter bis zu den Knien reichte, eher als Kurzmantel trägt. Und bei den imposanten Augenbrauen, die der Pulzermärtel a. D. Monate vor dem Auftritt nicht mehr stutzte, damit sie ordentlich buschig daherkommen, kann Gegner nicht mithalten. Er wird sich künstliche über die Augen kleben.

„Etwa halb auswendig“ kann Gegner den vom ehemaligen Kreisheimatpfleger Valentin Fürstenhöfer verfassten und an Theodor Storms Gedicht von „Knecht Rupprecht“ angelehnten Prolog schon. Sicherheitshalber will er ihn aber ablesen. Trotz langjähriger Laienschauspiel-Erfahrung im Verein fürchtet er Lampenfieber: „Auf der Bühne hat man immer ein paar andere um sich, da kann man auch mal improvisieren. Aber als Pulzermärtl bin ich auf mich allein gestellt.“ Und das erfahrungsgemäß vor einer Menschenmenge, die zu fassen man dem Platz zwischen Rathaus und Kirche gar nicht zutrauen würde.

Hemmeter kann den Text aus dem Effeff: „Mein Puls ging bei dem Auftritt schon lang nicht mehr hoch.“ Nur einmal, vor zwei Jahren, hat er sich dann doch verhaspelt. Darüber lachen die Roßtaler noch heute.

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