Kampf gegen gefährliches Arznei-Wirrwarr

10.4.2018, 12:45 Uhr
Kampf gegen gefährliches Arznei-Wirrwarr

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"Die kleine gelbe, die ovale weiße und was gegen Bluthochdruck." So ähnlich hören sich die Antworten manchmal an, wenn Professor Harald Dormann, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am Fürther Klinikum, und sein Team fragen, welche Medikamente Patienten zurzeit nehmen. Andere holen handgeschriebene Zettelchen raus, bekritzelte Taschentücher oder Schnipsel, die sie von ihren Tablettenpackungen abgerissen haben. Und selbst wenn sie eine Übersicht haben, die der Arzt ausgedruckt hat: Häufig ist sie veraltet oder nicht vollständig. Es waren schon Pläne von 2009 dabei. Im Notfall müssen Mediziner raten, was davon noch zutrifft. "Das ist wie Russisch Roulette spielen", sagte Dormann mal.

Dosierung verwechselt

Denn Medikamente – auch solche, die sich Patienten ohne Rezept besorgen – falsche Einnahme oder weil sich die Arzneimittel in die Quere kommen. "Jeden Tag haben wir damit im Krankenhaus zu tun", sagt Dormann. Die Patienten kommen mit Schwindel, Übelkeit, Herz-Rhythmus-Störungen oder Schlimmerem: Eine Frau litt jüngst an Magen-Darm-Blutungen, nachdem sie Aspirin und Gingko-Kapseln kombiniert hatte. In einem anderen Fall kämpfte man um das Leben eines Patienten mit einer Hirnblutung. Er hatte die Dosierung zweier Medikamente verwechselt.

Dormann interessiert sich seit langem für das Thema Arzneimittelsicherheit. In den vergangenen Jahren hat er sich den Umgang mit Medikamenten besonders intensiv angesehen. Denn: Das Klinikum Fürth untersuchte von 2014 bis 2017 mit Hilfe von rund 900 Patienten sowie einigen Arztpraxen und Apotheken in Fürth und Nürnberg, wie sinnvoll der neue, bundesweit einheitliche Medikationsplan ist. Es war die größte von drei Modellregionen in Deutschland. Ein Drittel der involvierten Ärzte und Apotheker gab an, dass es bei jedem fünften Patienten "Risikosituationen" durch Medikamente gab. Etliche ließen sich verhindern: Das Gesundheitsministerium schätzte 2016, dass in Deutschland jährlich rund 250 000 Krankenhauseinweisungen auf vermeidbare Medikationsfehler zurückzuführen sind.

Der Medikationsplan soll helfen, diese Zahl nach unten zu drücken. Auf ihn hat jeder Anspruch, der regelmäßig – über mindestens 28 Tage – drei Medikamente einnimmt. Der Plan, so die Theorie, soll sämtliche Präparate des Patienten aufführen und bei jeder Veränderung aktualisiert werden. Mittels eines sogenannten Datamatrixcodes kann er in Praxen und Apotheken eingescannt, überarbeitet und neu ausgedruckt werden.

Leicht verständlich soll darauf auch zu lesen sein, wofür die Arzneien dienen und wie sie eingenommen werden sollen. Über 85 Prozent der befragten Patienten waren mit dem Plan denn auch sehr zufrieden.

Es kommt einiges zusammen

Er hilft aber auch Ärzten: Ihnen fehlte oft das Wissen, was Kollegen verschrieben haben und welche Mittel sich die Betroffenen rezeptfrei kaufen. "Zirka 40 Prozent der Medikamente werden von den Patienten selbst besorgt", sagt Dormann. Da kommt einiges zusammen: Im Schnitt nehmen Menschen, die in die Notaufnahme kommen und über 60 sind, sieben bis acht Medikamente ein.

Für Dormann steht fest: "Wir brauchen einen anderen Umgang mit dem Thema." Der Medikationsplan sei ein erster Schritt, er sorgt für Transparenz. Doch nun sei es wichtig, dass er auch gepflegt werde: "Arzneimittelsicherheit fängt in den Köpfen an. Sie brauchen die Bereitschaft, dass der Arzt den Plan durchgeht und Beschwerden abgleicht."

Noch gebe es viel Verbesserungsbedarf: Momentan muss der Patient aktiv nach dem Plan fragen. Es sollte umgekehrt sein, findet Dormann: "Der Arzt muss das anbieten." Verbessert werden müsse aber auch die Honorierung: Bisher werde von den Kassen nur der Ausdruck bezahlt (mit einem Euro im Quartal), nicht aber die Zeit, die sich ein Mediziner nimmt, um sich mit dem Plan auseinanderzusetzen.

Und schließlich, so Dormann, müssten auch Apotheken und Krankenhäuser vom Gesetzgeber lückenlos eingebunden werden. Noch sind nur Ärzte verpflichtet, den Plan auszudrucken.

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