Kein Brief nach Berlin

27.10.2010, 09:00 Uhr
Kein Brief nach Berlin

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SPD-Fraktionschefin Sandra Hauber hatte in der Sitzung angeboten, sich der Angelegenheit anzunehmen. Zuvor hatte die Stadtrats-Mehrheit die von den Grünen geforderte offizielle Resolution des Stadtrates gegen längere Laufzeiten der Atomkraftwerke mehrheitlich abgelehnt — mit der Begründung, die Atompolitik falle nicht in die Zuständigkeit des Kommunalgremiums.

Betroffen sah man sich trotzdem, schließlich ist der nächstgelegene Meiler Grafenrheinfeld keine 90 Kilometer Luftlinie entfernt, was bei einem Sicherheitsproblem eines Atomreaktors durchaus als allernächste Nachbarschaft einzustufen sei, wie Hauber meint. Auch die Bürger verunsicherten die längeren Laufzeiten enorm, hat sie beobachtet, weshalb sie anregte, abseits der offiziellen Stadtratstätigkeit einen offenen, parteiübergreifenden Brief zu verfassen.

Nachdem Hauber den Brief in Anlehnung an den von den Grünen vorformulierten Resolutionstext verfasst und an die Fraktionschefs gesandt hatte, erreichte die SPD-Frau die Nachricht von CSU-Fraktionschef Jürgen Grötsch, dass doch nur drei der insgesamt zwölf Mitglieder seiner Truppe bereit seien, ihre Unterschrift unter die Protestnote zu setzen. Eine Entwicklung, die Hauber „nach der klaren Ansage in der öffentlichen Stadtratssitzung schon überraschte“.

So entschied man sich, doch keinen Brief ans Kanzleramt zu schicken. „Das Bemerkenswerte wäre doch gewesen, dass sich alle Stadträte unter den Logos aller Parteien auf einem Briefkopf geschlossen gegen längere Laufzeiten gestellt hätten“ — inklusive der Vertreter aus der Schwesterpartei der CDU, die den Betreibern der 17 deutschen Kernkraftwerke derart entgegenkommt. Auch der Grüne Wolfram Schaa sah die „ungewöhnliche Einigkeit“ nicht mehr gegeben.

Ohne inhaltliche Argumente für die Kehrtwende zu nennen, erklärt Udo Nürnberger, stellvertretender CSU-Fraktionschef, die Kehrtwende mit einer Entscheidung im fraktionsinternen Kreis nach der Stadtratssitzung: Mehrheitlich sei es da Konsens gewesen, als Lokalpolitiker schlicht nicht zuständig zu sein für Atompolitik.

Kreis-Grüne bei Groß-Demo

Schaa machte seinem Ärger über die schwarz-gelbe Atompolitik mit Zehntausenden Gleichgesinnter vor zwei Wochen in München Luft. Mit einem Dutzend weiterer Grünen-Mitglieder und Sympathisanten aus dem Landkreis Fürth hatte er die zehn Kilometer lange Menschenkette von Kernkraftgegnern in der Landeshauptstadt unterstützt. Schaa erlebte die nach den Protesten gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in den 1980er Jahren größte Demonstration in Bayern als beeindruckend: „An die 50000 Menschen formierten sich teils in sieben Reihen zu einer kilometerlangen Kette, und das absolut friedlich.“

Dass die von Schwarz-Gelb verfolgten längeren Laufzeiten zügig durchzusetzen sind, glaubt er genauso wenig wie Hauber. Sowohl SPD als auch Grüne haben bereits angekündigt, Verfassungsklage einzulegen, sollte der Bundesrat tatsächlich nicht gehört werden. Hauber findet es „gut, dass Rot-Grün diese Schiene so konsequent verfolgt; mit längeren Laufzeiten würde die Regierung einen Rückschritt gehen, der nur zeigt, welche wahnsinnige Macht die Atomlobby bei uns hat“.

Und sie würde eine Atompolitik verfolgen, die den Steuerzahler Unsummen koste, wie Schaa auf eine von Greenpeace dieser Tage veröffentlichte Studie verweist. Derzufolge sind seit 1950 nicht etwa 200 Millionen Euro Subventionen, wie von der Bundesregierung behauptet, in die Atomkraft geflossen, sondern mindestens 204 Milliarden Euro.

Der Studie zufolge wurde jede bisher erzeugte Kilowattstunde (kWh) Atomstrom mit 4,3 Cent subventioniert. Hinzu kämen 126,6 Milliarden Euro oder 2,6 Cent je kWh, mit der die Steuerzahler die Atomenergie-Unternehmen in Form von staatlich gewährten Finanzhilfen und Steuervergünstigungen unterstützten.

„Wir schmeißen diesem Geld nun noch viel gutes Geld hinterher“, so Schaa. Zum Vergleich nennt er die Summe, die den Verbraucher die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien kostet. Sie liegt derzeit bei 2,05 Cent pro kWh. Die Quintessenz der Greenpeace-Studie: Würden Kernkraftwerken die gleichen Haftungsregeln auferlegt wie allen anderen Wirtschaftsbereichen, wäre Atomstrom um bis zu 2,70 Euro je kWh teurer.