Kessler-Zwillinge: Blondieren ist nutzlos

22.8.2016, 16:00 Uhr
Kessler-Zwillinge: Blondieren ist nutzlos

© Foto: Imago

Sie waren die Idole einer Generation, die in den fünfziger Jahren im besten Backfisch-Alter war – und sie raubten der Männerwelt nicht nur wegen ihrer Tanzkünste den Atem. Mit 40 posierten Alice und Ellen Kessler, die heute im Münchner Promiviertel Grünwald leben, für den italienischen „Playboy“, der daraufhin in Rekordzeit ausverkauft war, in Hollywood traten sie in den Shows von Frank Sinatra und Elvis Presley auf. Ab Mitte der Fünfziger standen Ellen und die 30 Minuten ältere Alice in zahlreichen Musikfilmen vor der Kamera.

 

Kessler-Zwillinge: Blondieren ist nutzlos

© F.: Aslanidis

Kennen Sie 80-Jährige, die noch das Bein schwingen?

Vitez: Ja. Ich habe eine Schülerin, bei der ich mir sehr sicher bin, dass sie ungefähr so alt ist. Und als ich in Budapest und Wien Ballett lernte, waren meine Lehrerinnen allesamt zwischen 75 und 80 Jahre alt. Womit man wieder sieht: Ballett ist ein Rezept für gesundes Altern.

Womit die Frage geklärt wäre, wie lange Sie noch . . .

Vitez: (lacht). . . ja, ich unterrichte mit Sicherheit, bis ich 80 bin. Ich will Ballett machen, solange ich kann. Denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich irgendwann nur noch im Stadtpark sitze und die Tauben füttere.

 

Davon abgesehen, dass sie Zwillinge sind: Warum sind die Kesslers so berühmt geworden? Was konnten die, was andere nicht konnten?

Vitez: Ich glaube, dass bei den beiden etwas ganz Seltenes geschah: Sie konnten singen, tanzen, schauspielern, und sie waren nach allem, was man hört, ungeheuer ehrgeizig. Da hat einfach alles gestimmt. Wir hatten damals in der Ausbildung zwei Zwillingspaare. Und die wollten unbedingt auch so sein wie die Kesslers.

 

Mit welchem Ergebnis?

Vitez: Nun, ich würde mit aller Vorsicht sagen: Blondieren allein nutzt nichts. Man ist noch nicht wie die Kesslers, wenn man so ausschaut wie die Kesslers.

 

Seit den sechziger Jahren waren die Zwillinge in jeder Fernsehshow unterwegs, kaum ein Samstagabend verging, ohne dass irgendwo die Kesslers auftraten. Könnten tanzende Zwillinge im heutigen Medienzirkus noch einmal so durchstarten wie Alice und Ellen?

Vitez: Ehrlich gesagt, nein. Es waren ganz andere Zeiten, und es gab ja auch noch in den Kinos die vielen Musikfilme mit Conny und Peter, Peter Alexander und Vico Torriani, in denen die Kesslers häufig auftraten. Diese leichten Unterhaltungsfilme, das ist doch längst vorbei. Heute geht ohne Action überhaupt nichts.

 

Immerhin gibt es heutzutage Casting- und Talent-Shows. Durchaus eine Chance für tanzende Zwillinge.

Vitez: Das mag sein. Nur haben die Kessler-Zwillinge damals wirklich singen gelernt, sprechen gelernt, tanzen gelernt. Das hat mit den Autodidakten, die ein paar Wochen lang nach einer Castingshow eine Raketen-Karriere haben, um danach sofort wieder zu verglühen, nichts zu tun. Ich sage immer: Egal, welchen Beruf ich ausüben will, ob Tänzer oder Bäcker, ich muss ihn lernen und dabei gut sein.

 

Und diszipliniert.

Vitez: So ist es. Ich weiß noch, als ich in Wien tanzte, dass man aus ORF-Kreisen hörte: Wenn der Kameramann müde war, dann tanzten die Kesslers immer noch. Diese Disziplin hat sie berühmt gemacht. Bei Fred Astaire war es nicht anders. Wenn die Filmcrew die Szene schon im Kasten hatte, bestand er noch mal auf einer Wiederholung und tanzte so lang, bis wirklich alles passte.

 

Frage an die Ballettpädagogin: Was hätten Sie am Tanzstil der Kesslers zu verbessern?

Vitez: Gar nichts, denn er ist maßgeschneidert für die beiden. Sie haben ja nie „Schwanensee“ getanzt, sondern immer das gezeigt, was sie am besten konnten. Auch hat mir an ihnen immer gefallen, dass sie privat wohl so gar nicht dieses Zwillings-Getue an den Tag legten, Motto: Geht die eine nach rechts, geht die andere auch nach rechts. Und es ist ihnen gelungen, so gut wie nichts aus ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Finde ich gut.

 

Die Kesslers waren die Idole einer Generation, die, mit Verlaub, in Ehren ergraut ist. Für wen schwärmen eigentlich die jungen Ballettschülerinnen von heute?

Vitez: Für Pokémon Go. Die Idole der Jugend von heute wären ein Thema für ein zweites Interview. Als ich zwölf Jahre alt war, haben wir Ballettbücher gewälzt und Poster von unseren Lieblingstänzern aufgehängt. Die Schülerinnen im Jahr 2016 kennen die Namen aller deutschen Fußball-Nationalspieler. Wenn Sie aber fragen, wer John Neumeier ist, dann schauen Sie in sehr große Augen.

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