Kritik bei Fachsymposium in Puschendorf

7.5.2016, 09:00 Uhr
Kritik bei Fachsymposium in Puschendorf

© Foto: Erwin Wodicka/colourbox

Ein Vortrag hatte die Eckdaten für dieses mit Informationen gespickte Fachsymposium geliefert. Was unter Resilienz zu verstehen ist, beschrieb der Chefarzt der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie des Kinder- und Jugendkrankenhauses Auf der Bult in Hannover, Professor Dr. Christoph Möller. Mit Resilienz wird die Fähigkeit beschrieben, wie ein Kind mit Druck und Belastung fertig wird, wie rasch es sich nach Enttäuschungen oder traumatischen Belastungen erholt. Als wissenschaftlich arbeitender Kinder- und Jugendpsychiater berichtete er aus mehreren internationalen Studien. Eine, die Kauai-Studie, hatte von 1950 an 700 Kinder eines Jahrgangs über 40 Jahre begleitet. Das überraschende Ergebnis: Auch Kinder aus finanziell und sozial schwachen Verhältnissen hatten die Chance, ein gutes, erfülltes Leben zu führen.

Kritik bei Fachsymposium in Puschendorf

© Foto: Fiedler

Die Wissenschaftler hätten damals genau hingesehen, welche Kinder sich normal entwickelt hatten, berichtete Möller. „Es sind die gewesen, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Bezugspersonen hatten, von denen sie geliebt wurden und die dem Kind Anerkennung und Akzeptanz verschafften.“

Der Arzt sensibilisierte sein Publikum und warb um die Einsicht, dass Resilienz als dynamischer Prozess in der Erziehung gefördert werden muss. Einen äußerst kritischen Blick warf er auf Ganztagsbetreuungen: „Die funktionieren nur dann zugunsten der Kinder, wenn sie auf ganz hohem Niveau geführt werden.“ Zahlen machten deutlich, was Möller mit hohem Niveau meint: Bei Kindern bis zwei Jahren ein Betreuungsschlüssel 1:2, mit drei Jahren im Verhältnis 1:3, ab vier Jahren entsprechend des in Kindergärten angewandten Schlüssels.

Ökonomen entscheiden

Seine Kritik: „Bei der Kinderbetreuung haben Ökonomen und nicht Pädagogen, Erzieher oder Ärzte das Sagen“. Für den Arzt aus Hannover steht außer Zweifel, dass hier einiges schief läuft. Für Möller ist die provokante Frage, ob die heute praktizierte Kinderbetreuung ein Risiko für fehlende Resilienz darstellt, absolut erlaubt.

Und noch eine Einrichtung unterwarf Möller einer kritischen Betrachtung: „Unser Schulsystem können wir in die Tonne treten.“ Denn für Möller sind nicht Lehrplan, technische Ausstattung und alternative Unterrichtsformen ausschlaggebend, sondern einzig und allein die Qualität der Lehrer. „Sie müssen für ihren Beruf brennen, Potenziale und Talente entdecken und fördern.“ Seine klare Forderung: „Staat und Gesellschaft müssen hier ansetzen. Die richtigen Leute vor die Klassen stellen.“ Ausschlaggebend sei nicht der perfekte Umgang mit digitalen Medien („Die heutigen Geräte sind morgen schon wieder veraltet“), sondern die Art, wie man über die Welt und die Menschen nachdenke.

Inklusive Pädagogik, das ist der Fachbereich von Professor Dr. Johannes Albers von der Universität Paderborn. An seinem Institut für Erziehungswissenschaften arbeitet man daran, wie Inklusion schon in Krippe und Kindergärten gelingen kann. „Mittendrin statt nur dabei“, so stellt sich Albers die Inklusion schon der Kleinsten vor. Für den Erziehungswissenschaftler ist Inklusion auch ein Thema für Kinder mit Migrations- oder Armutshintergrund. „Auch hier muss gezielt geholfen werden, damit sie das Risiko Schule schaffen.“

Mit Jugendlichen, die schon auf die schiefe Bahn geraten sind, befasst sich Professor Dr. Johannes Bach von der TH Nürnberg. Er beschrieb seine Arbeit mit gewalttätigen Jugendlichen in den Justizvollzuganstalten Neuburg und Aichach. „Unser Programm konfrontiert Aggressionstäter mit der Forderung: Stopp, denk nach!“, schilderte Bach das von ihm mitentwickelte Programm. Und tatsächlich hätten die Jugendlichen in dessen Verlauf angefangen, ihr Verhalten zu hinterfragen.

Traum vom Leben ohne Gewalt

„Es gelang uns damit, jugendliche Straftäter so zu erreichen, dass sie ihre Impulsivität zu steuern begannen“, berichtete Bach. Ergebnis sei bei jungen Menschen gewesen, dass sie Konflikte nicht mehr mit körperlicher Gewalt lösen wollen. Bach weiter: „Alle träumen von einem Job, einer Freundin. Aber erst wenn sie kapiert haben, dass das nur mit einem Leben ohne Gewalt funktioniert, beginnen sie umzusteuern.“

Tatsächlich war der Workshop „Wirkungsvoller Umgang mit aggressivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen“ beim Fachpublikum so nachgefragt, dass er zwei Mal anberaumt wurde. Aber auch die Themen Internet- und Computersucht, Ressourcenaktivierung und die Beratungsarbeit in hoch eskalierten Familienkonflikten stießen auf großes Interesse. Moderator Dirk Bayer, der auch als Theaterpädagoge arbeitet, sprach von einem wertvollen Tag. Mit dem Wunsch, dass die Teilnehmer ihr Wissen als Multiplikatoren streuen, schloss Bayer die mit 120 Gästen gut besuchte Veranstaltung.

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