Lange Reise für Lars Vogt

10.12.2016, 17:33 Uhr
Lange Reise für Lars Vogt

© Giorgia Bertazzi

Ein schönes Beckett-Zitat haben wir auf Ihrer Homepage gefunden: „Try – fail, try again – fail better“. Übersetzt so viel wie: Versuchen, Scheitern, wieder versuchen, schöner scheitern. Nun sagen Sie nicht, Sie sprechen hier aus Erfahrung.

Vogt: Doch, da spreche ich wirklich aus Erfahrung. Scheitern ist Teil des künstlerischen Tuns, und immer wieder versucht man ja nicht nur als Künstler, auf verschiedenen Ebenen zur nächsthöheren Ebene zu gelangen. Als ich jung war, dachte ich, es müsste sehr frustrierend sein, bei manchen Werken einfach nie zu einem Ergebnis zu kommen. Heute ist es ein schönes Gefühl — zu wissen, man arbeitet sich immer und immer wieder an einem Stück ab und findet doch nicht die letztgültige Version.

 

Die Goldberg-Variationen sind nun wirklich ein Brocken, an dem man rasch scheitern kann. Inwieweit flößt Ihnen dieses Gipfelwerk Respekt ein?

Vogt: Ich habe nicht nur vor den Goldberg-Variationen, sondern vor Bachs Gesamtwerk einen immensen Respekt. Es ist unfassbar, wie dieses Genie Struktur und Emotionalität zu einer unglaublichen Einheit gefügt hat. Jedes Intervall der Goldberg-Variationen ist gespiegelt in ungeheurer Schönheit, als sei es das Natürlichste der Welt. Das Werk ist auch heute noch derart berührend, dass ich nie, wenn ich es aufführe, das Gefühl habe, ein Konzert zu geben. Für mich ist das ein Gemeinschaftserlebnis mit dem Publikum jenseits der üblichen Vortrags-Konventionen. Eine lange, beglückende Reise.

 

Kaum ein Pianist kommt ja früher oder später an den Goldberg-Variationen vorbei. Wenn man einige Einspielungen hören würde, ohne zu wissen, wer das spielt: Woran ließe sich Ihr Ansatz erkennen?

Vogt: Das lässt sich schwierig von außen beschreiben. Interessant ist für mich die bewusste Entscheidung, das Werk nicht auf einem Cembalo zu spielen, sondern auf einem modernen Flügel. Das ermöglicht mir, orchestral und mit dem Wissen um die historische Aufführungspraxis zu phrasieren und Passagen wie Bläsersätze klingen zu lassen. Für mich ist es aber auch ein Werk voller Grundfreude und Weltzugewandtheit, es ist richtig gut gemachte Unterhaltungsmusik.

 

Dennoch werden Sie natürlich auch in Fürth wieder auf ein Publikum schauen, sagen wir’s vorsichtig: ab 55 aufwärts. Auf welche Weise versuchen Sie eigentlich, junge Zuhörer für diese Musik zu begeistern?

Vogt: Auf meine Initiative geht das Projekt „Rhapsody in School“ zurück. Es ist die Idee eines Netzwerks von Künstlern, denen es bewusst ist, dass klassische Musik nur eine Überlebenschance hat, wenn wir Künstler selbst den Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen direkt in den Schulen suchen, um dort unsere Begeisterung für die Musik zu vermitteln: www.rhapsody-in-school.de — Inzwischen sind wir rund 300 Künstler, die das Spielen in Schulen zu ihrem täglich’ Brot gemacht haben. Ich finde, dass es sich lohnt, für die große gesellschaftliche Rolle von Musik zu kämpfen, und zwar nicht nur, weil es dem Fortbestand meines Berufsstandes dient. Ich glaube: Eine Gesellschaft verarmt, wenn es nur noch um den Maximalgewinn bringenden Abschluss am Jahresende geht.

 

Stehen uns, was das betrifft, düstere Zeiten bevor?

Vogt: Nein. Ich bin optimistisch. Warten Sie ab, da wächst eine tolle Generation heran, die aufgeschlossen ist auch für klassische Musik. Man sollte es nur nicht tragisch finden, dass der Weg zur Klassik seine Zeit braucht. Wenn man erst mal in ein Alter kommt, in dem man den Kopf aus dem Sandkasten herausgezogen hat, einen Beruf und vielleicht auch Familie hat, dann beginnt häufig die Zeit, in der sich die Muße findet, sich mit klassischer Musik zu befassen. Nur: Eine gewisse Basis, und sei sie noch so dünn, muss in jüngeren Jahren vorhanden sein. Dafür setze ich mich mit meinen Kollegen ein.

 

Umtriebigkeit scheint sowieso Ihr zweiter Vorname zu sein. Sie leiten das Kammermusikfestival „Spannungen“ in der Eifel, und neuerdings widmen Sie sich auch dem Dirigieren. Seit 2015/16 sind Sie Künstlerischer Leiter der Royal Northern Sinfonia im englischen Newcastle. Es soll ja Solisten geben, die umsatteln, weil sie sich bei zig Dirigenten gesagt haben: Oh mein Gott, das könnte ich besser. Sie auch?

Vogt: Ich gebe zu, auch ich hatte schon solche Momente, ja. Aber hier in Schottland habe ich gerade Beethovens viertes Klavierkonzert mit dem jungen venezolanischen Dirigenten Rafael Payare gemacht, das war ganz besonders schön. Wenn ich es allein machen würde, würde ich manches anders machen, weil ich dem Orchester dann natürlich ungefiltert vermitteln kann, was mir nach 30 Jahren der Auseinandersetzung mit dem Werk dazu eingefallen ist.

 

Letzte Frage, passend zur Jahreszeit: Mit welcher Musik feiern Sie am liebsten Weihnachten?

Vogt: Ich lege gern das Weihnachts-Oratorium auf und schöne alte Jazz-Versionen der Klassiker, Sinatra zum Beispiel.

 

Also keine stille Nacht im Hause Vogt?

Vogt: Stille ist auch ganz schön, ohne Frage. Aber ich liebe einfach Musik, und ich koche gern, wenn auch nicht besonders gut. Und dabei lasse ich gern Musik laufen, auch zum Fest.

 

Lars Vogt, Klavier: Werke von Schubert (4 Impromptus op. 90 D 899) und Bach (Goldberg-Variationen BWV 988), 16. Dezember, 19.30 Uhr, Stadttheater. Karten im FN-Ticket-Point (Rudolf-Breitscheid-Straße 19, Tel. 2 16-27 77) und an der Theaterkasse.

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