Leidenschaft und Lebensfreude: Das Latino Festival in Stein

2.6.2014, 10:34 Uhr
Mit aufreizender Lässigkeit spielt sich das Septet des Kubaners Mayito Rivera  t durch ein modernes, mit Jazz-Elementen angereichertes Salsa-, Rumba- und Bolero-Repertoire, das schlichtweg groovt wie die Hölle

© Hans-Joachim Winckler Mit aufreizender Lässigkeit spielt sich das Septet des Kubaners Mayito Rivera t durch ein modernes, mit Jazz-Elementen angereichertes Salsa-, Rumba- und Bolero-Repertoire, das schlichtweg groovt wie die Hölle

Freude oder Frust beginnt bei jedem Festival mit der Anreise, vor allem wenn man ganz altmodisch ohne Navi unterwegs ist. Doch die Beschilderung ist ausgezeichnet: Von schwarzen Pfeilen auf gelbem Grund wird man sicher durch das Städtchen zum nordwestlichen Ortsrand gelotst, wo man von freundlichen Männern in Leuchtwesten auf eine holprige Wiese gewiesen und ebenso freundlich um satte fünf Euro erleichtert wird. Hat man den Einlass passiert, überquert man zunächst einen geräumigen Sportplatz, dahinter liegt das Festivalgelände.

Der erste Eindruck an diesem kühlen Freitag-Abend ist ernüchternd: Ein Acker! Zwischen Mischpult und Bühne erstreckt sich eine große, leere Fläche fest gestampfer nackter Erde, die dank des Regens der letzten Tage auch noch feucht ist. Im hinteren Teil sind die üblichen Gastro- und Souvenierstände aufgebaut, davor eine breite Phalanx aus Bierbänken. Ein paar hundert Menschen sind da, eindeutig zu wenig, um das Gelände auch nur halbwegs zu füllen. Die allerdings haben ihren Spaß: Die „Batukeros“, eine vielköpfige Latin-Perkussion- Gruppe aus Markt Erlbach macht mit druckvollen, ausgefuchsten Samba- und Batucada-Rhythmen reichlich Stimmung.

Kompliziertes System

Die Zeit bis zum Hauptact vergeht wie im Flug, ist man doch gut damit beschäftigt, sich ahnungslos in die Schlange für ein argentinisches Steak einzureihen um dann, das dampfende Brötchen bereits in der Hand, zu erfahren, dass Bargeld leider nicht akzeptiert wird: Man hätte sich zuvor Essensmarken besorgen müssen. Warum einfach, wenn's auch kompliziert geht?

Doch während einem das angeschwärzte Sechs-Euro-Fleisch noch schwer im Magen liegt, wird man musikalisch bestens entschädigt: Der kubanische Sänger Mayito Rivera, viele Jahre Frontman der legendären Salsa-Band Los Van Van, demonstriert mit seiner jungen Band ein schwindelerregend hohes musikalisches Niveau. Mit aufreizender Lässigkeit spielt sich das Septett durch ein modernes, mit Jazz-Elementen angereichertes Salsa-, Rumba- und Bolero-Repertoire, welches an polyrhythmischer Komplexität kaum zu überbieten ist und schlichtweg groovt wie die Hölle – was die feuchte Kälte allerdings nicht daran hindert, einem langsam das Hosenbein hinaufzukriechen.

Der Samstag-Nachmittag präsentiert sich zum Glück freundlicher. Nachdem sich das Buenos Aires Tango Ensemble mit der erhabenen Melancholie des klassischen Pre-Piazzolla-Tango „auf die Spuren des Schmerzes” (so heißt ein Stück) begeben hat, drehen wir eine Runde über das angrenzende, weitgehend verwaiste Workshop-Gelände. Zu spät! Nur in einem Zelt sitzt ein Mensch gemütlich vor einer umgedrehten Suppenschüssel, der er silbrig verträumte Klänge entlockt. Franz Wald erzählt uns allerhand Interessantes über das Hang, eine Schweizer Variation der karibischen Steeldrum, und lässt uns auch selbst Hand anlegen.

Nach diesem mediativen Zwischenstopp sorgt die in Brasilien geborene Nürnberger Sängerin Yara Linss mit kleiner Band für einen ersten Höhepunkt: Feinster Bossa und brasilianische Songpoesie mit leichtfüßigem Charme, großer Abwechslung und einer schönen, biegsamen Stimme. Toll!

„Ich möchte hunderttausend Leute hier haben!”

Das Publikum vergrößert sich gegen Abend zwar zusehends, verliert sich auf dem großen Areal aber noch immer. Da nimmt auch Organisator Siegfried Hochstein kein Blatt vor dem Mund. „Nein!” antwortet er mit entwaffnender Ehrlichkeit auf die rhetorische Frage, ob er mit den Besucherzahlen zufrieden sei. „Ich möchte hunderttausend Leute hier haben!” Das ist freilich im gleichen Maße übertrieben, wie die Frage naiv ist angesichts von etwa 1000 Besuchern. An seiner großen Vision, das Latino-Festival als eigenständige Marke zu etablieren, hält der freundliche Optimist allerdings fest: „Schließlich gibt es in ganz Europa nur zwei Latin-Festivals und in Deutschland gar keines”, sagt er und überlegt, ob man das nächste Mal mit den Preisen vielleicht „etwas sensibler” umgehen sollte. Denn 30 Euro für die Tageskarte (ab 19 Uhr 20 Euro) und 70 Euro für die Festivalkarte sind bei der Qualität des Programms sicherlich gerechtfertig, für einen Teil des Zielpublikums – Frankens große Latino-Gemeinde – aber möglicherweise einfach zu teuer.

Doch dann entern die Mexikaner „Los de Abajo” die Bühne und blasen mit ihrer wilden Mischung aus Salsa, Rock, Ska, Polka, Cumbia und Reggae die Gehörgänge durch und trübe Gedanken fort. Die temperamentvolle Sängerin und ihre Musiker erinnern an Schneewittchen und die sieben Zwerge. Doch sie entpuppen sich als wahre Stimmungskanonen, die für ausgelassene Partylaune sorgen und sich am Ende unter das Publikum vor der Bühne mischen, ohne mit dem Spielen aufzuhören. Ein Riesenspaß!

 

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