Letzte Rauchzeichen

3.10.2011, 13:00 Uhr
Letzte Rauchzeichen

© Thomas Scherer

Kürzlich hat mein Tabakladen dicht gemacht. Er war in der untersten Etage des City-Centers angesiedelt und gehörte einem auswärtigen Konzern. Der wollte wohl an die Zukunft der Einkaufsstadt nicht so recht glauben und entschied sich sicherheitshalber zur Schließung. Die Fürther Geschäftsführerin meinte dann an einem ihrer letzten Arbeitstage, dass das wohl auch ein Zeichen der Zeit sei: Das Rauchen genießt kein sehr hohes Ansehen mehr, demzufolge werden auch Fachgeschäfte mit Fachpersonal nicht mehr benötigt. Zum Abscannen der Strichleiste auf den Zigarettenpäckchen, sagte sie, brauche es nun mal keine besondere Ausbildung oder gar eine irgendwie intime Beziehung zum Produkt an sich.

Ich kaufte mir noch zwei Schachteln auf Vorrat, setzte mich im Freien auf eine Bank, steckte mir eine an und kam ins Grübeln. Dass das Rauchen einmal eine Genuss-Kultur war, kann man heute nurmehr schwer nachvollziehen. Und reden sollte man davon besser nicht öffentlich. Aber dass die Läden, in denen man sich mit Zigaretten, Cigarren, Pfeifentabak versorgen konnte, selbst in Fürth geschmack- und stilvolle Einrichtungen waren, in denen es gemütlich und exotisch duftete, in denen man von freundlichen Menschen bedient wurde, die nichts weiter im Sinn hatten, als einem die blauen Stunden zu versüßen — ja, doch: Irgendwie so war das.

Sie sind verschwunden schon längst: Das sehr gediegene Geschäft an der Adenaueranlage etwa mit seinem Eingangsbereich, der von zwei runden Schaufensterfronten gerahmt wurde; die engen Schläuche zwischen zwei Altbauten, vollgestopft mit Zeitungen und Rauchwaren, die an die Trafiken in Österreich erinnerten und ebenso mehr ein Kommunikations- denn ein Kommerzort waren; und wer kann sich noch an den Laden in der Theaterstraße erinnern, von dem heute nur noch das schief hängende Schild „Tabakwaren L. Scheuerlein“, geschrieben rund um eine fette Zigarre, übrig ist?

Und überhaupt: Tabak und Fürth — das war mal eine Beziehung, die weit über das schnöde Paffen hinausging. Genau genommen sind die Anfänge im 17. Jahrhundert zu finden: 1653 nämlich schon führte hier der reformierte Niederländer Paul Lersch den Tabakanbau ein und gründete die erste Tabakmanufaktur. Lersch profitierte damals von einer positiven Wirtschaftsentwicklung, die hauptsächlich der Dreierherrschaft über die Stadt zu verdanken war: die Bamberger Dompröbste und die Ansbacher Markgrafen unterstützten nachhaltig die florierende ökonomische Entwicklung und machten es auch Fremden schmackhaft, sich in Fürth und im Umkreis mit ihrem Gewerbe anzusiedeln.

Gesundheitsbewusstsein und höhere Tabaksteuer

Der Tabakanbau gehörte seitdem zum Bild der Stadt. In Steinach oder Herboldshof, den einst selbstständigen, dann eingemeindeten kleinen Dörfern, gab es die langen, hallenartigen hölzernen Schuppen, unter deren Kunststoffüberdachungen die braunen Blätter in endlosen Reihen zum Trocknen hingen. Und die Felder? Während man heute hauptsächlich gigantisch-öde Maisflächen sieht, gab es früher zumindest noch ab und an ein Areal, auf dem der Tabak mit seinen schönen Blüten stand.

Doch dann kam auf einmal alles zusammen: wachsendes Gesundheitsbewusstsein, höhere Tabaksteuer, Rauchverbot, Aus für die Werbung. Den Tabakbauern wurden die EU-Subventionen gestrichen und sie mussten sich umorientieren. In den Fürther Nachrichten stand dazu vor einem Jahr: „Lange hatte die Familie gut gelebt mit der großen Pflanze mit den rosa Blüten. ,Seit vier Generationen, vielleicht schon länger, haben wir Tabak angebaut‘, sagt Landwirt Gerhard Pfann aus dem Fürther Vorort Steinach. Doch nach der Abkoppelung vom Fördertropf der Europäischen Union schien die Branche in den letzten Zügen zu liegen: Mit dem Wegfall der Brüsseler Subventionen deutete sich ein einschneidender Strukturwandel an.“

Wie tiefgreifend solch ein „Strukturwandel“ sein kann, mussten auch eingefleischte Nichtraucher vor vier Jahren zur Kenntnis nehmen. 2007 nämlich sah man zum letzten Mal beim großen Erntedank-Festzug der Michaelis-Kirchweih die drei Themenwagen der Knoblauchsländer Tabakbauern, die seit ewigen Zeiten zu den Hauptattraktionen gezählt hatten. Der letzte Auftritt bedeutete seinerzeit die Verkündigung des Endes einer nahezu 400-jährigen Anbautradition.

Liebevoll und authentisch

Auch heuer werden diese Wagen fehlen: sie waren liebevoll und authentisch mit Erde und Pflanzen ausgestattet, auf ihnen wurde geharkt und geerntet, sie zeigten die einzelnen Arbeitsphasen im Jahr des Tabakbauern — bis hin zum gemütlichen und zünftigen Fest, nachdem die Ernte eingebracht war. Natürlich wurden von den Wagen keine Zigaretten ins Volk geschmissen, niemand sollte zum Rauchen verführt werden; aber stolz war man eben doch auf die erfolgreiche Pflege dieser uralten Kulturpflanze: Tabak aus Fürth hatte bei der verarbeitenden Industrie einen sehr guten Namen. Er wird im Umkreis der Stadt zwar noch in geringen Mengen angebaut (unter anderem ist er geeignet für Wasserpfeifen), aber die großen Geschäfte gehören längst der Vergangenheit an.

Was hätte wohl der große Wirtschaftswunder-Erfinder Ludwig Erhard zu dieser Entwicklung gesagt? Der, auf den man hier so viel hält, dem jetzt gar ein Doku-Zentrum gewidmet werden soll — dieser aus Fürth stammende Politiker also, den man sich ohne dicke Zigarre im Mund gar nicht vorstellen kann? Hätte er seine geballte Wirtschafts-Kraft aufgeboten, um die Tabakbauern in seiner Geburtsstadt zu unterstützen?

Und da fällt mir dann noch eine Geschichte ein, die man heutzutage kaum mehr für möglich halten würde: Auf dem Hardenberg-Gymnasium war ich in Latein wahrhaft keine große Leuchte. Wenn das zwei genau wussten, dann waren das ich und mein Lateinlehrer, ein älterer Herr mit breitem ostpreußischem Tonfall und altbewährt rüden Züchtigungsmethoden („Willst du eijne Doublette?“). Darüber hinaus war er passionierter Pfeifenraucher und schlenderte stets dampfend über den Pausenhof.

Kam es zur Schulaufgabe, dann stand er zuverlässig ganz am Anfang der Stunde neben mir an der Bank, nahm mir mein leeres Blatt ab, schrieb eine Fünf darauf, drückte mir einen Geldschein in die Hand und sagte: „Is juut Junge. Jeh mal rieber zur Rosa (das war der Kiosk hinter der Heinrichskirche) und saje, du willst zwei Päckel Tabak für den Härrn Profässor. Aber lass dir Zeijt, die andern missen noch arbeijten.“

Die „Rosa“ musste bald dicht machen; nicht etwa, weil sie Nikotin an Minderjährige verkaufte: Der alte Kiosk sollte vielmehr einem Wohnungsneubau weichen. Der Herr Pro-fessor aber lebte noch sehr lange.

 

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