Letzter Schultag für eine eingeschworene Gemeinschaft

29.7.2014, 11:00 Uhr
Letzter Schultag für eine eingeschworene Gemeinschaft

Kevin ist mit seinen neun Jahren schon fest entschlossen, sich von den widrigen Umständen keine Freundschaften rauben zu lassen. Auch nach den Ferien, wenn es für ihn und seine Mitschüler an verschiedenen Schulen weitergeht, wird er seine Kumpels nicht aus den Augen verlieren: „Wir sind Nachbarn, da kann ich rübergehen. Und wir haben ja auch die Telefonliste!“

Noch etwas wird im September helfen: „Die Lara, die Shari und der Semi gehen mit mir auf die Realschule“, sagt Chantal glücklich, und Jan begleiten „der Kevin und der Leon J.“ aufs Hardenberg-Gymnasium. Jan und Leon J. – er heißt so, erklären die Schüler, weil es in der Klasse auch einen Leon E. gibt – tragen sogar schon T-Shirts des Gymnasiums, die sie beim Sommerfest der Schule gekauft haben. Das Hardenberg habe ihm am besten gefallen, sagt Jan, „wegen den Lehrern und weil da nicht so viele Stockwerke sind, das ist nicht so groß zum Glück“. Außerdem kann man dort sehr viel Sport machen.

Das klingt doch gar nicht schlecht, findet die Frau von der Zeitung, fragt aber vorsichtshalber nach: Ist es traurig, dass die Grundschulzeit vorbei ist? Die Schüler sind sich einig: „Jaaaaaaaaa. . .“ Vor allem der Abschlussgottesdienst tags zuvor ging ihnen an die Nieren, da wurden die Viertklässler gesegnet, dazu wurde ein trauriges Lied gespielt, wie alle berichten. „Ich habe geweint, Sara hat geweint“, erzählt Chantal. „Es ist ziemlich schwer, die alte Schule und die Freunde loszulassen.“

Die Geschwister warnen

Sehr emotional seien alle gewesen, bestätigt ihre Lehrerin, Gisela Schlaffer, die mitfühlen kann: Auch für sie war gestern – nach 41 Jahren an der Soldnerschule – der letzte Schultag. Mit 63 Jahren geht sie in den Ruhestand. Traurig? „Jein“, sagt sie. Es sei ein guter Zeitpunkt, aufzuhören, junge Lehrer sollen nachrücken. Bis zum Schluss aber habe sie gern unterrichtet: „Bei den Kindern über zwei Jahre hinweg so eine Entwicklung zu sehen, nicht nur, was das Lernen betrifft, sondern auch die Persönlichkeit, das ist toll!“ Vermissen werde sie aber auch das Kollegium: „Wir waren eine Clique, die sehr lange zusammen war.“

Lange – fast ihr halbes Leben – haben sich auch Semi und sein Freund Justin im Klassenzimmer getroffen. Ab September ist das anders: „Wir sind an verschiedenen Schulen, aber wir sehen uns trotzdem: auf dem Bolzplatz!“ Dass die fünfte Klasse noch stressiger sein soll als die vierte, die es – „mit Zahlen bis über Hunderttausend, bis zur Million!“ – schon in sich hatte, haben viele freilich bereits von älteren Geschwistern gehört. Lara beispielsweise wurde schon vorgewarnt: „Die sagen, ich muss mich mehr an den Schreibtisch hocken und mehr lernen.“

Letzter Schultag für eine eingeschworene Gemeinschaft

Seine Schwester, fällt Leon J. da ein, sei sehr stolz auf ihn: „Weil ich der erste in der Familie bin, der aufs Gymnasium geht!“ Wen er vermissen wird? „Auf jeden Fall sie“, sagt er und deutet auf Chantal, die neben ihm sitzt, dann schaut er hinter sich: „Und sie, und ihn – also alle!“ Zum Glück sei es dank Handys aber ganz einfach, in Kontakt zu bleiben, sagt Shari: „Über Whatsapp!“ Zeit für die Zeugnisse. Jeder liest es für sich, mahnt Schlaffer, später kann dann jeder entscheiden, was er seinen Freunden erzählen möchte. Kevin hält sich an die Regel. Aber sein „Yesssssssss!“, als er das Zeugnis entgegennimmt, lässt keine Zweifel aufkommen: Er freut sich über viele Einser.

Schnell dreht sich das Gespräch um die nächsten Wochen: um bevorstehende Ausflüge ins Erdinger Erlebnisbad Galaxy und Reisen nach Rumänien, Kroatien, in die Türkei. Eine Hausaufgabe hätten sie von Frau Schlaffer bekommen, verraten die Kinder: „Spaß haben!“ Nur zum Ende der Ferien, erinnert sie die Lehrerin sanft, sollten sie „ein kleines Trainingslager einlegen – wie die Fußballer“.

Und noch eine Idee hat sie: „In ein paar Jahren könnten wir ein Klassentreffen machen. Dann erzählt ihr mir, wie’s euch geht.“ Es gebe da tatsächlich eine ehemalige Klasse, „die 4b“ aus dem Jahr 1991, die sich bis heute alle paar Jahre trifft. Und die Eltern dieser Schüler, erzählt Schlaffer, treffen sich sogar jedes Jahr!

Ein paar Jahre will Moesha nicht warten: Am ersten Schultag, schlägt sie vor, sollen sich alle wiedersehen: „Bei McDonald’s!“

Gesprächsstoff dürfte es genug geben. Ob es wohl ein bisschen seltsam sein wird, plötzlich nicht mehr die Größten, sondern die Kleinsten zu sein? Chantal überlegt kurz: „Nicht, wenn ich hohe Schuhe anziehe. . .“

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