Märchenhafter Abend in Roßtal

9.8.2016, 13:00 Uhr
Märchenhafter Abend in Roßtal

© Foto: Petra Fiedler

„Die Kultur im Pfarrgarten, diesmal nicht im Pfarrgarten, sondern im Gemeindehaus“, so umriss Pfarrer Jörn Künne bei seiner Begrüßung die veränderten Bedingungen. Er musste die Veranstaltung kurzfristig unters schützende Dach verlegen, sehr zum Leidwesen mancher Besucher. Der romantische Rahmen alter Gemäuer und wuchernden Grüns hätte ideal gepasst, denn Märchen waren angesagt, vorgetragen von Barbara Bredow und begleitet von Gitarristin Wilgard Hübschmann.

Die Roßtalerin Wilgard Hübschmann lehrt Gitarre an der Musikschule, arrangiert Musikstücke, konzertiert und komponiert. Ihre Künstlerkollegin Barbara Bredow arbeitete als Dramaturgin und Sprecherin am Fürther Stadttheater. Die Kunst hat die beiden Frauen schon vor mehreren Jahren zusammengebracht. Auch in Roßtal sind sie als Gespann keine Unbekannten, galt doch die letztjährige Aufführung der Mystikerin Theresa von Avila. Das jüngste Projekt, eine Auftragsarbeit des Klosters Speinshart in der Oberpfalz, führt ins Nachbarland Böhmen.

„Sie ist nicht nur wegen ihres persönlichen Schicksals, sondern auch vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund eine sehr interessante Frau“, beschrieb Barbara Bredow die Hauptperson des Abends, die Schriftstellerin und Märchensammlerin Božena Nemková. Die 1820 in Wien als Barbara Panklová geborene Tochter eines Dienstbotenpaares wuchs aufgrund des Arbeitsverhältnisses ihrer Eltern in einer von den Gepflogenheiten des Adels geprägten Umgebung auf.

Zu einer Heirat mit einem Finanzbeamten gedrängt, entwickelte sich das Leben der Nemková alles andere als rosig. Die Mitte des 19. Jahrhunderts war von freiheitlichen und patriotischen Umtrieben geprägt. Nemkovás Mann, der Finanzbeamte, fiel aufgrund seiner nationalistischen Eskapaden am Wiener Hof in Ungnade, wurde beruflich degradiert, in die Provinz versetzt und verfiel dem Alkohol.

„Da hat Božena Nemková begonnen, in Spinn- und Wohnstuben alte Märchentexte zu sammeln“, weiß Barbara Bredow, die an diesem Abend ihre Märchen vorlesen wird. Ähnlich der Brüder Grimm habe Nemková die Texte überarbeitet und geglättet. Mit dem Buch Babicka sei ihr 1855 eines der wichtigsten Werke, der damals noch jungen tschechischen Nationalliteratur, geglückt. „Selbst der große Franz Kafka zeigte sich von ihrem Schreibstil begeistert“, so Bredow.

Flucht aus der Realität

Zu ihren Lebzeiten hat die Nemková um ihre Existenz und die ihrer drei Kinder kämpfen müssen. So sei auch der idealisierende Stil ihrer Erzählungen zu verstehen, als Flucht aus der eigenen, harten Realität. Mit nur 42 Jahren starb sie an Krebs und Auszehrung. Im Gegensatz zu ihrem von Armut und Hunger geprägten Leben war ihre Beerdigung pompös. Die Tschechen wollten sich von ihrer Schriftstellerin gebührend verabschieden.

Die Texte der Božena Nemková geben der Volksseele eine Stimme. Wie in Märchen üblich, obsiegt das Gute über das Böse, gibt es Gerechtigkeit, setzt sich die reine, ehrliche Seele durch und wird belohnt. Eine Ausnahme vielleicht die Erzählung „Wer hat die Tauben gegessen“. Der Text beschreibt das Innenleben einer Ehe, die im 19. Jahrhundert offenbar mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte, wie so manche moderne Partnerschaft.

Bei Barbara Bredows Vortrag über ein im Gezänk und in gegenseitiger Fixierung erstarrten Ehepaares, das am Ende doch nicht voneinander lassen kann, ist die Professionalität der geschulten Rezensentin spürbar. Was als Alltagsgeschichte daherkommt, wird für den Zuhörer zur Metapher über Macht und Ohnmacht. Bredow verliert darüber hinaus nicht das Gespür, die durchaus heitere Seite eines derart gestalteten Zusammenlebens herauszuarbeiten.

„Märchen“, so hatte Barbara Bredow eingangs versprochen, „verzaubern ihre Zuhörer“. Und wenn die Dramaturgin von Verzauberung spricht, dann deutet sie auch an, dass die Musik eine Seelenbrücke für die Inhalte der Märchen bauen kann. Das ist Aufgabe von Wilgard Hübschmann. Mit viel Feingefühl hat sie Komponisten ausgewählt, die aus Böhmen stammen oder geschichtlich mit dem Land zu tun haben.

Verzaubertes Publikum

Da nimmt Rudolf Leberl einen wichtigen Platz ein. Er ist Sudetendeutscher wie Hübschmanns Eltern. Man trifft nach der Flucht nahe Regensburg aufeinander. Leberls Tochter wird Hübschmanns Patin. Neben Leberl interpretiert die Roßtalerin an diesem Abend auch Werke von Wenzeslaus Matiegka, einem in Mähren geborenen und im Wiener Biedermeier seinen künstlerischen Höhepunkt feiernden Komponisten. Johann-Anton Logy, ein aus gräflicher Familie stammender Lautist, war einer der gefragtesten und besten seiner Zeit. Das Barock war seine Epoche. Doch auch Hübschmanns eigene Kompositionen stehlen sich ins Herz.

Passt ihre Arbeit „Regentropfen“ nicht besonders gut zu der Parabel von den beiden Brüdern, die unter Gerechtigkeit so Unterschiedliches verstehen und denen Gerechtigkeit extrem verschieden und doch so passend widerfährt? Die Regentropfen auf den Gitarrensaiten verstummen und hinterlassen ein verzaubertes Publikum.

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