Martini-Botschaft

12.11.2013, 09:50 Uhr
Fritz Schnetzer folgt den Spuren von St. Martin.

© Winckler Fritz Schnetzer folgt den Spuren von St. Martin.

Der arme Mann im Freien übernachtet

Martini man die Gänse schlachtet.

Martin von Tours, römischer Offizier, traf auf einen Armen bei bitterster Kälte. Mit ihm teilte er seinen Mantel. In der Nacht erschien ihm ein Gott im zerrissenen Soldatenmantel: Ich war der Arme, dem Du das Leben geschenkt hast!

Die große Decke

Der Gouverneur, von mir befragt, was nötig wäre

Den Frierenden in unserer Stadt zu helfen

Antwortete: eine Decke, zehntausend Fuß lang

Die die ganzen Vorstädte einfach zudeckt.

(Aus den chinesischen Gedichten von Bertolt Brecht: nach Po Chü Yi, 772 – 846)

Martin von Tours besaß keine so große Decke. Hätte er deswegen weitergehen, nicht helfen sollen? Ist denn einer keiner?

Die Ausnahme I

In dem System, das sie gemacht haben

Ist Menschlichkeit eine Ausnahme.

Wer sich also menschlich erzeigt

Der trägt den Schaden davon.

Fürchtet für jeden, ihr

Der freundlich aussieht!

Haltet ihn zurück

Der da helfen will!

Neben dir dürstet einer: schließe schnell deine Augen!

Verstopfe dein Ohr: neben dir stöhnt jemand!

Halte deinen Fuß zurück: man ruft dich um Hilfe.

Wehe dem, der sich da vergisst. Er

Gibt einem Menschen zu trinken, und

Ein Wolf trinkt.

(Bertolt Brecht)

Die Ausnahme II

Gab es da nicht auch einen wundersamen, ironisch-höhnischen Text vom großen BB, in dem beide erfroren sind: der Heilige Martin und der Bettler. Der Mantel reichte nicht für zwei. Das Mitleid hat sie kalt gemacht. Beneidenswert, wer frei davon.

Ein wärmender Gott ist nicht immer zur Stelle.

Warum also etwas riskieren?

Die Ausnahme III

So dachte Feldwebel Schmid nicht. Feldwebel Anton Schmid aus Wien war ein braver, einfacher Mann. Im Zivilberuf besaß er ein kleines Radiogeschäft in der Vorstadt. Ein guter Christ war er, unpolitisch und unheroisch. Der Krieg führte ihn als Leiter einer Versprengten-Sammelstelle der Wehrmacht nach Wilna in die Etappe. Viele wären glücklich gewesen, in fast friedlich anmutender Sicherheit. Wenn da nicht die Mordkommandos gewesen wären. Wilma war einst das „Jerusalem Litauens“ gewesen. Ein halbes Jahr nach dem Einmarsch der Wehrmacht waren von 65000 Juden nur noch 12000 übrig. Die anderen waren erschossen, erhängt, erschlagen. Für kleine Kinder waren Patronen zu teuer gewesen.

Feldwebel Schmid stopfte sich nicht die Ohren zu, er verschloss nicht die Augen, er vergaß sich nicht in Schnapsräuschen. Er half, zäh und listenreich und heimlich. Er riskierte alles, sprach mit keinem. Nachts erschien ihm kein Gott, der ihn tröstete. Oder vielleicht doch. Wer weiß das denn.

Irgendwann verrieten auch ihn die Gänse. Aber sie schnatterten aus Angst. Das Messer der Gestapo, wer will da richten.

Feldwebel Schmid hatte viele gerettet. Er hatte die Folgen nicht bedacht. Er hatte die Folgen wohl bedacht.

Verräter riefen die Wiener, als das Todesurteil bekannt geworden war. Verräter riefen die Wiener und warfen seiner Witwe die Scheiben ein und verbrannten die Briefe.

Der Arme im Freien übernachtet

Martini man die Gänse schlachtet.

Lasst uns den Gänsbraten schmecken, die Gänse haben einst Rom gerettet, und den Heiligen Martin zum Bischof gemacht, aber den braven Feldwebel Schmid, den konnten sie nicht retten. Ist er auch heilig, der Feldwebel Schmid?


 

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