Mehr Mut zu aktuellen Themen

11.6.2013, 09:00 Uhr
Mehr Mut zu aktuellen Themen

© Winckler

Das Medieninteresse am NSU-Prozess ist gewaltig. Raten Sie Lehrern, die Schlagzeilen zu thematisieren?

Georg Fleischmann: Der Prozess wird sich lange hinziehen und lässt sich daher im Unterricht schwer verfolgen. Aber über den Nationalsozialistischen Untergrund sollte man unbedingt sprechen. Der Zeitpunkt dafür wäre eigentlich schon im November 2011 gewesen. Wir Regionalbeauftragte haben das den Kollegen damals ans Herz gelegt. Das Bekanntwerden des NSU war für Deutschland ja eine traumatisierende Erfahrung, ähnlich wie 9/11 in den USA.

Ist denn im Lehrplan Luft dafür?

Fleischmann: Ich wünsche mir, dass Lehrer den Mut haben, auch mal was vom übervollen Lehrplan wegzulassen, um sich einem aktuellen Thema zu widmen. Das kann jetzt etwa auch das Hochwasser sein. Spätestens in dem Moment, wenn Schüler fragen, sollte man sich dem stellen – und zwar ganz egal, ob man Mathe-, Religions- oder Deutschlehrer ist. Stunden zum NSU bieten sich gerade in Religion und Sozialkunde an. Dabei sollte man sich aber nicht nur auf die Empörung über die Morde beschränken.

Wie meinen Sie das?

Fleischmann: Der NSU ist ein guter Anlass, grundsätzlich über den Rechtsextremismus, seine Gewaltbefürwortung, seine Ideologie der Ungleichwertigkeit und über Diskriminierung zu sprechen. Die ist vielfältig, trifft zum Beispiel auch Behinderte, Obdachlose oder Hartz-IV-Empfänger. Sie passiert leider an vielen Stellen unserer Gesellschaft. Lehrer sind aufgefordert, dauerhaft etwas gegen Vorurteile und Mobbing zu tun.

Das ist auch der Ansatz des Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, zu dem mittlerweile elf Schulen in Stadt und Landkreis gehören. Ein schöner Titel – aber steckt da wirklich was dahinter?

Fleischmann: Wenn der Titel verliehen ist, geht es erst richtig los. Jedes Jahr müssen die Schüler ein Projekt zum Thema Rassismus und Diskriminierung auf die Beine stellen. ‚Schule ohne Rassismus‘ ist eine Aufgabe, der sich Lehrer und Schüler gemeinsam verschreiben, aber die Schüler haben hier eine besonders aktive Rolle und Verantwortung. Und zu erleben, dass sie etwas bewirken, macht sie stolz.

In Fürth gibt es eine aktive Neonazi-Szene. Ist das ein Thema im Sozialkundeunterricht?

Fleischmann: Wir haben 2013/14 ein Doppelwahljahr. Ich hoffe, dass vor und nach den Wahlen mit den Schülern darüber gesprochen wird, was Demokratie bedeutet und welche extremen Positionen es gibt, wie Neonazis heute auftreten und wie man sich wehren kann. Sehr gut fand ich es, dass jüngst die Fürther Schüler den 80. Jahrestag der Ermordung der beiden Fürther Goldmann und Benario im KZ Dachau zum Anlass für eine Demo nahmen und sich fragten: Was ist damals passiert? Was hat das heute mit uns zu tun, wenn sich die Bürgerinitiative Soziales Fürth aufstellt?

Müsste es mehr Unterrichtszeit für diese Themen geben?

Fleischmann: Historisches Wissen wird immer nur zum Teil schützen. Jugendliche, die in die rechte Szene kommen, hatten ja auch Geschichtsunterricht. Wenn junge Menschen keine Familie haben, die Geborgenheit liefert, kein soziales Umfeld, keinen Verein oder Jugendtreff, wo sie sich entfalten können und zugehörig fühlen, wenn wichtige Bedürfnisse nicht befriedigt werden und sie Deklassierungserfahrungen machen, dann können noch so viele Geschichtsstunden nicht verhindern, dass sie sich angezogen fühlen von rechten Gruppen.

Wie kann eine Schule die Kinder schützen?

Fleischmann: Wenn wir es schaffen, dass sie ohne Angst vor Mobbing oder Anfeindung in die Schule gehen, wenn sie dort Geborgenheit, Toleranz und Weltoffenheit erleben, dann haben die Rechten zumindest hier keine Chance.

 

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