Melancholische Erinnerungen und frische Blumen

21.11.2010, 06:00 Uhr
Melancholische Erinnerungen und frische Blumen

© Hans-Joachim Winckler

„Ich geh’ täglich hierhin“, sagt Rosemarie Amesöder, die gerade auf dem Weg zur Grabstelle der Familie ist. Die 48-Jährige hält ein Blumengesteck im Arm: „Mein Vater ist heute vor 30 Jahren gestorben.“

Vor anderthalb Jahren verunglückte ihr Ehemann mit dem Motorrad, seither gehört der Gang zum Friedhof zu ihrem Tagesablauf: „Es war so plötzlich“, sagt sie, „nach 28 Jahren guter Ehe, das ist ein Verlust, den vergisst man so schnell nicht.“ Stets zündet Rosemarie Amesöder eine Kerze an. „Dann habe ich das Gefühl, dass ich etwas von meiner Wärme und Liebe geben kann.“ Die Besuche sind ihr wichtig: „Ich brauche das.“ Noch stehen rote Rosen auf dem sorgsam gepflegten Grab. „Vor Weihnachten werde ich ein Bäumle mitbringen.“

Melancholische Erinnerungen und frische Blumen

© Hans-Joachim Winckler

Mit Rechen und Besen

Herta (50) und Wilhelm Krämer (54) kommen zwei- bis dreimal in der Woche. „Mein Vater und seine Mutter liegen hier und ein guter, alter Freund, den wir im August beerdigt haben“, sagt Herta Krämer. Vor dem Totensonntag haben sie noch einmal die Gräber in Ordnung gebracht, sind mit Rechen und Besen dem Laub zu Leibe gerückt.

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© Hans-Joachim Winckler


„Und den Stein haben wir abgewischt, meine Mutter mag das auch, wenn es alles so in Ordnung ist.“ Das Ehepaar wohnt in der Südstadt. Die Fahrten zum Friedhof — „mit dem Fahrrad oder mit dem Auto“ – empfinden sie nicht als Belastung: „Wir sind familienverbunden.“

Eine kleine Wanderung hat Dorothea (66) und Robert Müller (64) aus Nürnberg zum Fürther Friedhof gebracht. „Wir sind bis Stadeln mit der Mobi-Card im Bus gefahren, jetzt laufen wir von dort Richtung Teeladen im Ronhof, dann geht es zurück.“ Diese Station ihrer Tour berührt beide auf ganz eigene Weise: „Ich denke hier auch ganz besonders an meine Eltern, die in Schleswig-Holstein beerdigt sind, wo ich natürlich nicht ständig sein kann“, sagt Dorothea Müller.

Melancholische Erinnerungen und frische Blumen

© Hans-Joachim Winckler

Ihrem Mann ist auf dem Weg ein altes Grab aufgefallen: „Die meisten Leute, die dort liegen, sind schon im 19. Jahrhundert gestorben — und jetzt steht eine kleine Leuchte mit LED-Licht davor.“ Die Novemberstimmung und „die beiden traurigen Wochenenden“ schlagen Dorothea und Robert Müller nicht auf die Stimmung: „Auch nicht das graue Wetter, das passt zu diesem Monat.“


Anni Stühler macht mit Enkeltochter Leonie (acht Monate) im Kinderwagen auf dem Friedhof einen kleinen Spaziergang: „Ich laufe hier öfter her, weil es so ruhig ist“, erklärt die 56-Jährige. Stets sucht sie sich dabei andere Wege, allerdings geht es auch immer „an den eigenen Gräbern vorbei“.

Vertieft in eine angeregte Unterhaltung stehen Silvia (75) und Horst (73) Kleinecke mit Maria (75) und Hanns (73) Meyer zusammen. Jeder hat einen Rechen dabei. Aus gutem Grund. „Dreimal in der Woche komme ich her und mache für fünf Bekannte die Gräber, ehrenamtlich natürlich“, verrät Hanns Meyer.

Melancholische Erinnerungen und frische Blumen

© Hans-Joachim Winckler

Horst Kleinecke hält es ebenso. Ehefrau Silvia erklärt: „Er pflegt die Gräber von seiner und meiner Mutter, die beiden liegen nebeneinander.“ Die beiden Paare kennen sich schon lange. Zum einen wohnte man einmal in der Nachbarschaft, vor allem aber, erzählt Maria Meyer, habe sie vor Jahren mit der Mutter von Horst Kleinecke in einem Haus gewohnt. „Und wenn wir uns jetzt hier treffen, dann spricht man über die Arbeit und über Krankheiten und wie’s einmal war. Und wie schön es war.“