MINIaturen-Festival endete mit einer Premiere

7.11.2017, 14:00 Uhr
MINIaturen-Festival endete mit einer Premiere

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Nur noch wenige Meter bis zur ersten Adventskerze. Dann wachsen Wunschlisten, die doch neulich noch Briefmarkenformat hatten, auf Wahlplakat-Format. Und die größeren Herrschaften jenseits der MINIaturen-Zielgruppe schwören sich mindestens zum 34. Mal: Dieses Jahr, nur dass das klar ist, schenken wir uns nichts. Also gut, aber wirklich nur eine Kleinigkeit. Finger hoch, wer sich ungern beschenken lässt. Finger nochmal hoch, wer zwei Geschenke scheußlicher findet als eins. Und am Ende trompetet immer derselbe Trompeter: Kauft, ihr Leute, kauft, auf zum Konsumklimagipfel jenseits der Sauerstoffgrenze!

Da kommt dieses alte Märchen zur rechten Zeit, zur Vor-Vorweihnachtszeit. Bei Ilsebill ist jeder Abend Heiligabend. Ist ja auch toll, wenn dein Mann nur zum Butt gehen muss, schon schreist du vor Glück. "Vom Fischer und seiner Frau", das kann man auf die Bühne wuppen als Ausstattungsschlacht mit entsetzlich viel pädagogischem Drive. Seht, so weit kann es kommen, wenn du nur noch bestellst und kein Karton groß genug sein kann. Konsum ist Irrwitz, Material ersetzt die Seele nicht. Kann man so machen. Weil, es stimmt ja alles.

Ohne Moralzeigefinger

Oder man macht es wie Andrea Post und Tim Schreiber, die in der Regie von Matthias Ludwig das Kunststück wagen, das Märchen einfach nur zu erzählen und den Moralzeigefinger mal schön in der Fischerhosentasche zu lassen. Dabei entsteht keineswegs "nichts". Schreiber & Post brechen in 60 Minuten eine feine Lanze für ein Glück jenseits von Wunschgier und Wunschwahnsinn — für das riesengroße kleine Glück, einander zu haben und miteinander durch dick und dünn zu gehen. Und sei die Fischerhütte auch noch so klein.

Für die Zielgruppe, Theatergänger ab fünf Jahren, mag das kein leichtes Brot sein, denn die Dresdner reduzieren ihre Bildsprache mit aller Konsequenz. Nur mit Licht, Gesten, pantomimischem und körperlichem Einsatz sowie mit sehr überschaubarer Textmasse verfrachten Schreiber & Post das Stück in die Köpfe der Zuschauer, wo sich vermutlich 100 verschiedene Erlebnisräume öffnen. Wenn Tim Schreiber den imaginären Motor seines Bootes — es heißt "Ilsebill I" — anwirft, die imaginäre Angelrute sausen lässt und durchs imaginäre Watt latscht, dann laufen Oberstübchen-Filme im mucksmäuschenstillen Saal.

Ein kleines Licht-Rechteck markiert die Umrisse der kargen Kate, ein größeres das Haus, ein noch größeres das Schloss. Es ist ein großes Vergnügen, dem Duo dabei zuzuschauen, wie es diese Räume ausmisst und in Beschlag nimmt, Post immer mit der satten Ich-glaub’s-nicht-Zufriedenheit der Frau, die endlich Wünsche erfüllt bekommt, Schreiber stets mit der melancholischen Miene des Mannes, der zwar muksch bleibt, jedoch Unheil ahnt. Szene im Schloss: "Wo bist du? — "In der Gemäldegalerie."

Geräusche-Zauber

Noch größer wird der Theaterspaß dank Jan Heinke. Der macht vom Bühnenrand die Geräusche und baut mit ihnen eine auch für große Zuschauer sehr behagliche Ironie-Ebene ein. Heinke, das ist der, der im Schloss die Echos zaubert, der die Wellen zum Tosen bringt und dem "Felicitá"-Tänzchen von Frau und Fischer den passenden Groove verpasst. Die gluckernde Himbeerbowle, die putzige Teezeremonie — bei Heinke wird’s zum Ereignis.

Andrea Post ist nicht nur die Frau, die irgendwann den Job "Gott" für den einzig passenden hält, sondern auch der aus rabenschwarzen Bühnentiefen hervor schleichende gruftige Gruselfisch, der sich auf James Browns Soulklassiker einen neuen Reim macht: "I feel good, ich bin der Butt." Ein Stück, das sehr viel Spaß macht und zugleich in jene zauberhafte Stille zurückkehrt, aus der das Paar zu Beginn aufbrach. Bald weihnachtet es. Ein Tee zu zweit kann auch eine schöne Bescherung sein. Ganzjährig.

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