„Mit 17 000 Beschäftigten sind wir der größte Arbeitgeber“

25.7.2016, 16:00 Uhr
„Mit 17 000 Beschäftigten sind wir der größte Arbeitgeber“

© Hans-Joachim Winckler

Herr Mörtel, wie hat sich die Zahl der geschlossenen Ausbildungsverträge in den regionalen Handwerksbetrieben in den vergangenen Monaten entwickelt?

Thomas Mörtel: Wir haben aktuell sehr positive Zahlen. Für den Landkreis haben wir 60 Prozent mehr eingetragene Lehrverträge registriert als zu diesem Zeitpunkt vor einem Jahr. In der Stadt ist die Zahl gegenüber dem Vorjahr gleich geblieben. Aber das ist nur eine Zwischenstandsmeldung, weil die meisten Lehrverträge ja erst über die Sommerpause geschlossen werden. Verlässlichere Zahlen gibt es dann Ende September beziehungsweise Ende des Jahres.

 

Worauf ist diese positive Entwicklung zurückzuführen?

Mörtel: Unter anderem auf die Arbeit der Innungen, unserer Kreishandwerkerschaft und der Handwerkskammer. Wir sind sehr aktiv in den verschiedensten Gremien involviert, zum Beispiel im Arbeitskreis Schule-Wirtschaft, bei der Bildungsmesse des Landkreises Fürth oder im Vertrauensnetzwerk Schule Beruf. Gerade bei Innungsveranstaltungen sensibilisieren wir die Handwerksmeister zum Thema Nachwuchsgewinnung, denn anders als noch vor einigen Jahren sind viele Betriebe heute auch selbst gefordert, geeignete Bewerber zu finden. Etwa Patenschaften einzugehen oder sein Unternehmen mit dessen Ausbildungsberufen an der Schule vor Ort zu präsentieren. Das ist gerade im ländlichen Bereich wichtig.

 

Wie ist das Handwerk in Stadt und Landkreis Fürth aufgestellt?

Mörtel: Es gibt 1400 Handwerksbetriebe in der Stadt und 1600 im Landkreis mit insgesamt 17 000 Mitarbeitern. So gesehen sind wir der größte Arbeitgeber in der Region. Wer sonst hat 17 000 Beschäftigte?

 

Gibt es Bereiche, die bei Auszubildenden mehr oder weniger gefragt sind?

Mörtel: Für dieses Jahr kann ich es konkret noch nicht sagen. Aber ganz generell ist die Arbeit in der Kfz-Branche nach wie vor der Traumberuf der jungen Männer, während das Bäcker- und Metzgerhandwerk Schwierigkeiten hat, Jugendliche zu begeistern. Aus meiner Sicht ist das völlig unverständlich, weil beides sehr kreative Berufe sind, die tagtäglich größte Sorgfalt mit sensiblen Lebensmitteln erfordern. Da beispielsweise das Catering und der Wunsch nach regional produzierten Produkten beim Kunden immer mehr zunehmen, sind auch die Zukunftschancen in diesen Branchen sehr gut.

 

„Mit 17 000 Beschäftigten sind wir der größte Arbeitgeber“

© dpa

Was tun Sie, um das Lebensmittelhandwerk beliebter zu machen?

Mörtel: Wir haben zum Beispiel das Projekt „Fokustage Nahrung und Genießen“ im Arbeitskreis Schule-Wirtschaft auf den Weg gebracht, bei dem Mittelschüler im Oktober eine Woche lang Praktika bei Bäckereien und Metzgereien vor Ort absolvieren können. Das Schöne daran ist, dass die Achtklässler am Freitag noch einen Vormittag an der Berufsschule Fürth sind und dort auch einen Einblick in die Lehrwerkstätten bekommen. Für den technischen Bereich gibt es ein ähnliches Projekt bereits: die „Technikfokuswoche“. Sie war sehr erfolgreich und ist ein zusätzliches, aber speziell fachlich ausgerichtetes Angebot zu den Pflichtpraktika, die die Achtklässler ohnehin machen.

 

Was bietet eine Ausbildung im Handwerk den jungen Leuten?

Mörtel: Den viel zitierten goldenen Boden. Es gibt ganz tolle Aufstiegsmöglichkeiten im Handwerk: Man kann nach dem Gesellenbrief sofort seine Meisterausbildung dranhängen, man kann sich selbstständig machen oder fachbezogen nach der Meisterprüfung studieren. Ein Maurerazubi kann so letztlich Bauingenieur oder Architekt werden. Die ganze Welt steht einem offen – das geht über den dualen Ausbildungsweg, auch ohne Abitur. Auch wenn viele immer an das Bau- und Kfz-Handwerk denken, gibt es eine enorme Vielfalt von 150 Handwerksberufen, zu denen etwa Augenoptiker, Goldschmiede und Zahntechniker gehören.

 

Abgesehen von der Ausbildungssituation, was beschäftigt die Fürther Handwerksbetriebe aktuell noch?

Mörtel: Das hängt natürlich stark von der Branche ab. Das Bauhandwerk zum Beispiel beschäftigt seit einiger Zeit eine neue Richtlinie, wonach Erdaushub jetzt zunächst grundsätzlich als Abfall gilt und auf dessen Unbedenklichkeit beprobt werden muss. Für die Handwerksbetriebe und Auftraggeber sind damit teils erhebliche Kosten verbunden, um zu klären, wo das Material letztendlich wieder verfüllt oder entsorgt werden kann. Andererseits sind manche Erd- und Schutthalden inzwischen an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt.

 

Und was treibt das Lebensmittelhandwerk noch um?

Mörtel: Ganz klar die Lebensmittelskandale. Verbraucher scheren da oft alle Hersteller über einen Kamm. Dabei sind Skandale bei familiengeführten Handwerksbetrieben extrem selten. Da müssen wir immer mit unserer Öffentlichkeitsarbeit entgegenwirken und betonen, dass man Vertrauen haben kann in unsere Unternehmen. Öffentlichkeitsarbeit leisten wir etwa auch in puncto Aufbackware aus dem Supermarkt. Da erklären wir, dass die Qualität beim örtlichen Bäcker eine andere ist, dass auch Menschen und Arbeitsplätze aus unserer Region dahinterstehen.

 

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© Foto: Ulrich Schuster

Wie schaut es mit dem Fachkräftemangel in Fürther Handwerksbetrieben aus?

Mörtel: Der Fachkräftebedarf ist enorm. Durch die Niedrigzinsphase seit mehreren Jahren ist die Auftragslage im Bausektor gut — sowohl was Neubauten als auch Sanierungen anbelangt. Mancher Betrieb hat aufgrund der fehlenden Fachkräfte schon lange Wartezeiten oder kann den einen oder anderen Auftrag nicht mehr annehmen, um den Kunden nicht zu verärgern. Das ist womöglich auch ein Grund, warum die Ausbildungszahlen jetzt nach oben gegangen sind.

 

Stellt die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein Problem für die hiesigen Betriebe dar?

Mörtel: Das kann ich nicht sagen. Arbeitnehmer aus Osteuropa sind vor allem auf Großbaustellen, etwa im Wohnungsbau, zu finden. Aber da arbeiten unsere Fürther Betriebe eher weniger. Sie haben vielmehr langjährige Kunden — sowohl im gewerblichen als auch im privaten Bereich. Dort entstehen beispielsweise durch die 2000 Denkmäler, die es in Fürth gibt, viele Aufträge. Da werden unter anderem die Sandsteinfassaden restauriert, die Fenster und Treppenhäuser erneuert.

 

Wie sind die Fürther Handwerksbetriebe strukturiert?

Mörtel: In der Mehrzahl eher kleinteilig. Vom Ein-Mann-Betrieb bis zum Mittelständler gibt es alles. Eine kleine Bäckerei mit zwei, drei Filialen hat schon mal 20 bis 30 Mitarbeiter. Im Durchschnitt sind es aber circa fünf Mitarbeiter. Viele Unternehmen in den 14 Landkreisgemeinden sind dort sehr verwurzelt, weil sie oft aus Familientraditionen entstanden sind und als solche weitergeführt werden. Da gibt es eine starke Bindung zu der Ortschaft und den umliegenden Gemeinden, was zu einer guten Auftragslage und letztlich zum Erhalt von Arbeitsplätzen vor Ort führt.

 

Was können Handwerksbetriebe Arbeitnehmern bieten?

Mörtel: In einem Handwerksbetrieb ist man keine Nummer. Da entstehen persönliche Beziehungen, insbesondere wenn man eine gewisse Zeit dabei ist. Das heißt, auch wenn es mal nicht so gut läuft, wird eine Durststrecke gemeinsam überstanden. Entlassungen sind da erst mal kein Thema. Anders als in Großunternehmen, wo hart kalkuliert wird, gibt es eine hohe Loyalität gegenüber den Arbeitnehmern. Nicht umsonst gibt es in den Handwerksbetrieben viele langjährige Mitarbeiter und eine geringe Fluktuation.

 

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