Mittelschüler scheuen frühen Start ins Berufsleben

5.2.2018, 16:00 Uhr
Mittelschüler scheuen frühen Start ins Berufsleben

© Archivfoto: Hans-Joachim Winckler

Sie sind 15 Jahre alt, wenn sie sich für einen Beruf entscheiden sollen. Das ist sehr jung, sagt Veit Bronnenmeyer, Leiter des städtischen Projektbüros für Schule und Bildung, der sich seit langem ein zehntes Schuljahr für alle Mittelschüler wünscht. "Ein Jahr mehr Zeit an der Schule, mehr Reife würde jedem gut tun", glaubt er. Und es würde nach seiner Ansicht einige Probleme lösen.

Diese Probleme lassen sich aus der Statistik herauslesen. Da sind die Ausbildungsbetriebe, die vom großen Kuchen immer weniger abbekommen, wie er sagt. Und da sind die Schüler, die beim Übergang in den Beruf scheitern. Oder beim Versuch, die FOS zu schaffen.

Der Anteil der Neuntklässler, für die es direkt mit einer Lehrstelle weitergeht, ist von 30 Prozent vor fünf Jahren auf 24,6 Prozent geschrumpft. Obwohl viele Betriebe angesichts des drohenden Fachkräftemangels ausbilden wollen und obwohl mehr Mittelschüler als in den letzten Jahren den Qualifizierenden Abschluss schafften.

Verantwortlich macht Bronnenmeyer zwei Entwicklungen: Erkennbar ist eine zunehmende Scheu vor dem Start ins Berufsleben – bei stärkeren, aber auch bei schwächeren Schülern. Bronnenmeyer spricht von einer "Flucht in die Schulbank". Der Anteil der Neuntklässler, die sich entschieden, weiter zur Schule zu gehen, erreichte 2017 mit 52,3 Prozent einen neuen Höchstwert (2009: 31 Prozent): Die einen wiederholen freiwillig die neunte Klasse, um doch noch einen Abschluss oder einen Qualifizierenden Abschluss zu schaffen.

Die anderen versuchen ihr Glück in weiterführenden Klassen oder Schulen, um höhere Abschlüsse zu erreichen. Der Beleg: 2017 gab es besonders viele Wiederholer und besonders viele Übertritte.

Zudem gibt es viele Schüler, die intensive Unterstützung bräuchten, um eine Lehrstelle zu finden – nur ein Teil aber bekommt sie: 76 Jugendliche wurden durchs Programm "Berufseinstiegsbegleitung" (BerEb) betreut, bei dem Schulsozialarbeiter mit ihnen Hürden aus dem Weg räumen. Eigentlich benötigen 160 Schüler diese Hilfe, meint das Projektbüro-Team.

Für 21,2 Prozent ging es daher nicht mit einer Lehre weiter, sondern in berufsvorbereitenden Maßnahmen — also im "Übergangssystem". Die Zahl stieg erstmals seit 2009 wieder.

Mehr Begleitung wäre dringend nötig, befand Bronnenmeyer jüngst auch im Schulausschuss, um für Schüler wie Ausbildungsbetriebe wieder erfreulichere Ergebnisse zu erreichen. Die hohe Zahl der Klassenwiederholungen etwa lasse sich zum Teil damit erklären, dass viele aus EU-Ländern zugewanderte oder geflüchtete Jugendliche an den Schulen gelandet sind, die noch mit dem Erlernen der Sprache zu tun haben. Aber es gebe auch solche, für die von Anfang an feststeht, dass sie die neunte Klasse wiederholen wollen. "Sie bewerben sich nicht und machen kein Praktikum. Sie bleiben lieber an der Schule." In manchen Fällen sei das Wiederholen der neunten Klasse auch durchaus sinnvoll. Oft aber verbesserten sich die Leistungen nicht.

Mit gemischten Gefühlen beobachtet Bronnenmeyer auch, dass immer mehr Schüler den Wechsel in M- oder M 9+2-Klassen anstreben. Man müsste entweder die Hürden für die M-Züge wieder erhöhen – oder den Jugendlichen mehr Unterstützung bieten, findet er.

Denn es habe sich gezeigt, dass viele damit überfordert sind. Mit einem gerade noch bestandenen Mittleren Abschluss aber stünden ihnen kaum mehr Ausbildungsberufe offen als mit einem guten Quali. Auch der Traum, an der FOS weiterzumachen, erfüllt sich für viele nicht: Dort scheitere über die Hälfte der ehemaligen Mittelschüler in der Probezeit.

Der Wunsch, sich bessere Karrierechancen zu erarbeiten, sei nachvollziehbar, sagt Bronnenmeyer. Doch für manche Schüler könnte ein anderer Weg besser sein, meint er: erst einmal eine Ausbildung zu machen. "Das Lernen dabei ist ein anderes. Wenn dann der Knoten platzt, kann man weitermachen." Wer bestimmte Leistungen bringt, hat den Mittleren Abschluss darüber hinaus mit der Lehre in der Tasche.

"Obwohl die Konjunktur brummt und die Arbeitsmarktchancen gut sind, wird die Gruppe derer, die Unterstützung brauchen, nicht kleiner", bilanziert auch Schulreferent Markus Braun. Bronnenmeyer hofft, dass es bald ergänzende Hilfen gibt: Die Stadt sei in Gesprächen mit dem Schulamt und der Arbeitsagentur.

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