Nach Paris: Ehrlich zu Kindern sein

20.11.2015, 11:00 Uhr
Nach Paris: Ehrlich zu Kindern sein

© Archivfoto: Malte Christians/dpa

Frau Mehl, wie können Eltern ihren Kindern diese Terrorakte erklären?

Nach Paris: Ehrlich zu Kindern sein

Mehl: Das zu erklären ist, glaube ich, gar nicht möglich. Erklären können sich das die Eltern ja selbst nicht. Wichtig finde ich, dass wir unsere Kinder unabhängig davon, wie alt sie sind, begleiten, dass wir offen sind für ihre Fragen und auf diese eingehen.

 

Was sollen Eltern kleinerer Kinder tun? Sie einfach zu sich ins Bett holen?

Mehl: Ja natürlich. Körperliche Nähe gibt ja Sicherheit. Die Frage ist, was Kinder beschäftigt. Möglicherweise sind das gar nicht so sehr die Attentate als solche, oft sind Kinder eher irritiert, weil sie ihre Eltern anders erleben als sonst, weil diese verstummt sind oder — im Gegenteil — über nichts anderes mehr reden. Als Erwachsener könnte ich dem Kind dann zu verstehen geben, dass ich eine Nachricht gehört habe, die mich sehr betroffen macht. . .

 

Eine Nachricht? Oder eine schlimme Nachricht?

Mehl: Na ja, wenn es möglich ist, sollte man überlegen, welche Worte man wählt. Als unser Bundesinnenminister nach der Absage des Fußballspiels in Hannover erklärt hat, dass er nicht sagen möchte, was er weiß, weil das die Bevölkerung beunruhigen könnte, dürfte das die meisten Menschen noch mehr beunruhigt haben.

 

Ist es vor allem für jüngere Kinder besser, wenn Eltern den Fernseher zurzeit ausgeschaltet lassen, weil sich manche Bilder dann erst gar nicht in die Köpfe brennen können?

Mehl: Das kann man pauschal nicht sagen. Eine Familie kann vor dem Fernseher ja auch gemeinsam überlegen, wie lang sie sich all das noch anschauen will. Indem man sich miteinander entschließt auszuschalten, nimmt man etwas selbst in die Hand. In gewisser Weise setzt man so auch dem Schrecken etwas entgegen.

 

Was denken Sie: Sollte an Schulen in diesen Tagen über all das geredet werden?

Mehl: Ich persönlich würde mir wünschen, dass Lehrer den Kindern Gesprächsräume öffnen. Auf der anderen Seite gibt es auch Sicherheit, wenn der Unterricht und damit das Leben normal weitergeht. Die Anschläge nicht zu thematisieren, kann auch ein Signal sein, dass man das nicht zu groß werden lassen möchte.

 

Zugleich hätte man die Chance, mit Teenagern, deren Interesse am Unterrichtsstoff nicht immer allzu ausgeprägt ist, leidenschaftlich über die Demokratie zu diskutieren und über demokratische Eckpfeiler wie die Freiheit . . .

Mehl: Richtig, aber die Dosis macht das Gift. Und es geht hier eben nicht nur um politische Werte, sondern auch um Psychologisches, um Ängste, Unerklärliches, Ausgeliefertsein.

 

Zurück zu den Eltern. Auf die Kinderfrage, ob das, was in Paris passiert ist, auch hier bei uns passieren kann, hat ein Traumatherapeut im Interview mit der „Zeit“ gesagt, er würde das verneinen. Es entstehe sonst „Panik im Kind“. Was meinen Sie?

Mehl: Ich würde sagen, dass ich nicht weiß, ob das auch bei uns passieren könnte, dass ich es aber natürlich nicht hoffe. Mir ist es wichtig, ehrlich zu Kindern zu sein.

 

Also keine Notlüge?

Mehl: Die Angst gehört nun mal zum Leben dazu. Das gilt auch, wenn wir ins Auto steigen. Es kommt natürlich darauf an, in welcher Tonart ich mit dem Kind spreche, sachlich oder aufgewühlt, und wie weit ich aushole.

 

Müssen Eltern also Stärke zeigen?

Mehl: Eine Stärke, die sie selbst nicht haben oder empfinden, können sie auch nicht vermitteln. Das wäre ja eine Täuschung, und Kinder spüren so was sehr schnell. Vielleicht hilft es Eltern aber, ihre eigenen Ohnmachtsgefühle im Gespräch mit anderen Eltern zu relativieren. Wir haben hier bei uns in der Erziehungsberatungsstelle schon überlegt, ob wir — auch vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in Paris und woanders auf der Welt — eine Veranstaltung zum Umgang mit Ängsten und Unsicherheiten anbieten sollen. Wer Interesse daran hat, kann sich gerne unter der Telefonnummer (09 11) 9 74 19 42 an uns wenden.

Durch den Terror von Paris hat leider die Angst vor dem Fremden, auch vor dem Islam, Auftrieb erhalten. Zugleich knüpfen viele Familien in Fürth und Umgebung gerade erste Kontakte zu Menschen, die aus dem Nahen Osten als Flüchtlinge hier gestrandet sind. Was tun, um in diesen jungen Beziehungen das Misstrauen in Schach zu halten?

Mehl: Man muss Religion und Terrorismus trennen voneinander. Das eine hat mit dem anderen per se nichts zu tun. Davon abgesehen: Fremdheit löst, psychologisch gesehen, sowohl Neugier als auch Angst aus. Ich finde, wir sollten versuchen, den neuen Menschen in unserer Umgebung weiterhin vor allem neugierig und interessiert zu begegnen. Man darf dabei auch nie vergessen: Der Eindruck von Fremdheit ist immer wechselseitig.

 

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