Noten lesen

24.4.2012, 10:27 Uhr
Noten lesen

© Thomas Scherer

Zwei Musiker, A und B, suchen einen Saxophonisten für ihre Jazzband. Sie sitzen zusammen an einem Tisch und unterhalten sich kurz über den Musiker davor, bevor sie C heranwinken.

A:(leise zu B) Der war doch

ganz gut, oder? Kann vom Blatt spielen, kann improvisieren, und war auch ganz nett, oder? Der ideale Jazzer.

B:Ja, na ja. Ist mir ein bisschen zu sehr Dixie... Du weißt schon. Ist für unsere schrägen Sachen vielleicht ein bisschen zu konservativ.

A:Okay. Einer ist noch da, aber dann reicht’s für heute, hm?

B:Ja, dann haben wir doch ein paar gesehen. Wir entscheiden uns nach dem, ja?

B winkt C her. C kommt mit Tuba an den Tisch.

C:(fröhlich) Hallo! Ich bin der letzte, oder? Keiner mehr hinter mir – das ist gar nicht so schlecht. Den ersten und den letzten merkt man sich immer am besten.

B:Ja ja. (Deutet auf die Tuba) Äh... wir suchen einen Saxophonisten, das ist schon klar?

C:(immer fröhlich) Ja, klar. Saxophon.

A:Hm. Gibt’s einen Grund, wieso du dann eine Tuba mitgebracht hast?

C:(auf seine Tuba blickend) Das ist keine Tuba. Das ist ein Kontrabasssaxophon.

A:(ungläubig zu B) Gibt’s das? Kontrabasssaxophon?

B: (nickt) Schon. Aber das ist keins. Das ist eine Tuba.

C:(bestimmt) Das ist ein Kontrabasssaxophon.

B:(sehr sicher) Das ist eine Tuba. Ich weiß, wie Tubas aussehen und ich weiß, wie ein Kontrabasssaxophon aussieht. Das ist eine Tuba.

C:(freundlich, aber bestimmt) Das ist ein Kontrabasssaxophon.

B:Verdammt! Es ist... (gibt auf. Müde)...okay. Es ist ein Kontrabasssaxophon. Was hast du uns mitgebracht?

C:Ein Kontrabasssaxophon.

B:(genervt) Nein! Zum Spielen, meine ich.

C:Ein Kontrabasssaxophon.

B:(knirscht mit den Zähnen) O mein Gott!

A:Nein, er meint, was du uns vorspielen willst. Das Stück, das du spielen willst.

C:Ach so. Das Air von Bach.

A:(nach einer Pause fassungslos) Du willst uns das Air von Bach spielen?

C:Ja. Also nicht das von Pachelbel.

B:Ich glaub es irgendwie nicht. Du willst als Saxophonist bei einer Jazzkapelle spielen und kommst mit einer Tuba und dem Air von Bach.

C:(eifrig) Ich kann es in einer Jazzversion spielen. (Pause) Und es ist ein Kontrabasssaxophon.

A:(argwöhnisch) Hör mal, das hier ist keine von diesen Castingshows. Wir haben hier keine Kameras und so. Wir suchen wirklich bloß einen Saxophonisten. Ich denke, du solltest besser gehen.

C:Nein! Ich spiel euch was vor. Ich kann mir das wirklich gut vorstellen mit euch beiden! Ehrlich! Also, ich spiel jetzt.

B:(resigniert) Okay. Spiel.

C:(setzt die Tuba an, setzt sie wieder ab) Ich kann auch „Summertime“.

A:(sehr genervt) Gott! Spiel irgendwas, ja? Das Air. „Summertime“. Irgendwas. Aber bitte fang endlich an, ja!

C:(freundlich) Na ja, was euch lieber ist. Wenn ihr lieber Jazz wollt, dann spiel ich „Summertime“.

B:(sarkastisch) Das wäre total schön. Weil wir nämlich... also, ich weiß nicht, ob du’s gemerkt hast, als du das im Internet gelesen hast...

A:...wir sind ein Jazztrio.

C:(sieht sie lange an. Dann ernst) Aber ihr seid nur zu zweit. Ihr seid nur ein Duo.

B:(langsam) Ich bringe ihn um. Ich bringe ihn um.

C:(schnell) Ich spiele jetzt. (Beginnt mit dem Air).

B:(Unterbricht nach einer weiteren ungläubigen Pause) Stop! Stop! Das ist das Air!

C:(setzt ab) Was?

A:Das ist das Air. Du hast das Air gespielt, nicht „Summertime“.

C:(lässig) Ach, stimmt. Ich verwechsle das immer. (Will die Tuba wieder ansetzen)

A:(ungläubig) Du verwechselst das Air von Bach mit „Summertime“ von Gershwin?

C:(zuckt fröhlich die Schultern) Der Anfang ist so ähnlich. Dieser erste lange Ton...

B:(vergräbt den Kopf in den Händen) Der lange Ton am Anfang...

A:Das Air beginnt mit h. „Summertime“ fängt mit e an. Kannst du überhaupt Noten lesen?

C:Ich kann Noten spielen.

B:Spiel mal ein a.

C:(spielt ein h)

B:Das war ein h.

C:Nicht auf dem Kontrabasssaxophon. Da ist ein h ein a.

B:(weint fast) Das ist eine verfluchte Tuba! Und ein a ist immer ein a. Immer! Auf allen Instrumenten!

A:Sag mal, hast du überhaupt das Konzept von Musik verstanden?

C:Ich will doch nur spielen! Warum lasst ihr mich nicht? Ich spiel jetzt „Summertime“, ja?

B:(winkt nur ab)

A:(extrem ungeduldig) Ja, dann mach endlich!

C:(spielt „In the Summertime“ von Mungo Jerry).

A:Nein! Nein! Halt! Das ist doch nicht „Summertime“! Das ist nicht Gershwin, Mann!

C:(setzt die Tuba ab) Bach?

B:(verzweifelt) Ich glaube, wir bleiben ein Duo. Das ist doch nicht wahr! Das ist ein Popsong und er ist von Mungo Jerry! Wir spielen Jazz und brauchen einen Saxophonisten. Du spielst Pop auf der Tuba!

C:Es ist ein Kontra...

A:(hastig) Sag’s bitte nicht. Wir passen einfach nicht zusammen.

C:(nach einer kleinen Pause) Vielleicht spielt ihr nur das Falsche. So kann ich jedenfalls nicht mit euch arbeiten.

B:(fassungslos) Wir? Wir spielen das Falsche? WIR suchen doch einen Saxophonisten! Geh jetzt bitte.

C:(beleidigt) Geht ihr doch!

A:(zu B) Komm, wir... wir lassen den echt allein. Der ist verrückt. Der ist echt bekloppt.

A und B ab. C sitzt kurz da, dann setzt er wieder die Tuba an und spielt die ersten Takte von „Summer in the City“, setzt dann ab.

C:(nachdenklich) Nee. Das war’s wieder nicht. Vielleicht ist „Summertime“ gar nicht drin in diesem Kontrabasssaxophon.



 

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