Oberasbachs Igelmama schlägt Alarm

23.9.2016, 12:30 Uhr
Oberasbachs Igelmama schlägt Alarm

© Thomas Scherer

Frau Plesch, einerseits sagen Sie, die Igelpopulation ist massiv rückläufig, andererseits scheinen derzeit relativ viele auf der Straße unter die Räder zu kommen. Wie passt das zusammen?

Oberasbachs Igelmama schlägt Alarm

© Thomas Scherer

Plesch: Dass viele Igel überfahren werden, liegt daran, dass die Männchen noch auf Hochzeitstour sind, was sich bis in den Oktober ziehen kann, für den Nachwuchs aber fatal ist. Der kann die 500 Gramm Gewicht, die er braucht, um über den Winter zu kommen, kaum mehr erreichen. Außerdem sind die Igel verzweifelt auf Futtersuche. Die vielen Trockenphasen, die wir mittlerweile haben, egal ob bei warmen oder kalten Temperaturen, lassen Futtertiere in den Boden abwandern. Die Igel finden keine Würmer oder Käfer mehr. Und auch das Umfeld, das der Mensch dem Igel heute bereitet, macht ihm das Leben schwer.

 

Inwieweit?

Plesch: Die Gärten sind akribisch ausgeräumt. Kein Laub, kein Totholz, der Rasen bis auf zwei Zentimeter heruntergestutzt: Das schadet nicht nur Insektenfressern wie Igeln, auch Vögel oder Bienen leiden darunter. Genauso wie unter dem massiven Einsatz von Spritzmitteln in der Landwirtschaft und Giften in Privatgärten. Selbst unter den Hecken wird aufgeräumt, Gartenhäuser werden auf Betonfundamente gesetzt, statt auf Holzbohlen. Wo soll ein Igel da noch Unterschlupf finden?

 

Der größte Feind dürfte der Straßenverkehr sein, oder?

Plesch: Nicht nur der: Die großen Maschinen in der Landwirtschaft sind verheerend. Und im Garten ist es die Motorsense. Ich hab’ schon oft genug erlebt, dass die Igelmama skalpiert wurde und ein ganzer Wurf verwaist war. Deshalb vorm Mähen bitte immer ganz genau hingucken.

 

In freier Natur macht sich mit dem Uhu der größte Fressfeind der Igel wieder breiter . . .

Plesch: Richtig, aber auch Füchse, Dachse oder Waschbären können den Igel, selbst wenn er sich zur stacheligen Kugel rollt, lebensgefährlich werden. Sie warten geduldig, bis er sich wieder aufrollt, und fassen blitzschnell zu.

 

Seit 13 Jahren engagieren Sie sich im Tierschutz, haben sich die Anforderungen an die Igelhilfe verändert?

Plesch: In den ersten Jahren haben wir die Igel eher aufgepäppelt, dann ging es los mit Nieren-, Leber- oder Herzproblemen. Ich führe das auf die generell schlechteren Lebensbedingungen zurück — und auf Vergiftungen. Auch neurologische Schäden nehmen massiv zu. Insgesamt kommen weniger Tiere auf Stationen, aber die in erheblich schlechterem Zustand als früher. Und in meinem Garten habe ich kaum mehr Fressgäste. Die wenigen, die kommen, sind sehr schlecht beieinander.

Was kann man tun, wenn einem ein Igel über den Weg läuft?

Plesch: Igel sind nachtaktiv. Lässt sich einer tagsüber sehen, ist davon auszugehen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ein gesunder Igel hat eine ovale, rundliche Form. Ist er lang und dünn, braucht er auf jeden Fall Hilfe. Dann sollte man füttern, und zwar massiv. Damit ein Igel genügend Reserven für den Winter aufbaut, frisst er in einer Nacht bis zu 80 Prozent seines Körpergewichts. Ein 380 Gramm schwerer Igel putzt also durchaus gut 300 Gramm in einer Nacht weg. Und das sollte er möglichst auch, wenn er im Frühjahr wieder aufwachen will. Und wer einen Igel in seinem Garten gesehen hat, kann davon ausgehen, dass noch mehr da sind.

 

Nur sind die Tiere sehr scheu, woher also sollte man wissen, wie viel Futter die Schar unbekannter Größe braucht?

Plesch: Unsere Faustregel ist: Wenn morgens das Schälchen mit Nassfutter ausgefressen ist, sind nicht alle satt geworden. Es sollte immer noch ein Esslöffel Futter auf dem Teller liegen.

 

Welches Futter mag der Igel?

Plesch: Katzenfutter, allerdings Nassfutter, keinesfalls Trockenfutter. Das Wasser, das er bräuchte, um das verdauen zu können, kann ein Igel gar nicht zu sich nehmen.

Und wenn ganz kleine Wichte durch den Garten tapsen?

Plesch: Dann wurde womöglich ihr Nest zerstört oder der Mutter ist etwas passiert. Wer ein geschwächtes Igelchen findet, muss erst einmal für Wärme sorgen. In unterkühltem Zustand gefüttert, kann sein Kreislauf kollabieren. Sind sie ganz klein, haben womöglich noch nicht einmal Haare am Bauch und im Gesicht, sollte man eine Igelstation anrufen oder gleich in die Tierklinik. Fencheltee mit Honig ist als Erstversorgung geeignet. Bloß keine Milch, Igel vertragen Laktose nicht, sie bekommen Durchfall und sterben.

 

Sie nehmen nur die „schweren Fälle“ auf.

Plesch: Meine Station ist mit zehn Babys, sechs erwachsenen Igeln und einigen Dauergästen derzeit übervoll. Bis ich alle versorgt und zwei Mal am Tag Häuser und Kisten meiner Pfleglinge gesäubert habe, ist es fünf Uhr morgens. Deshalb beantworte ich gerade auch keine Mails. Wer Fragen hat, sollte besser anrufen und auf Band sprechen. Ich rufe auf jeden Fall zurück. Vergangenes Jahr waren es etwa 250 Igelfreunde, die ich telefonisch begleitet habe.

 

Und wie viele Igel pflegen Sie selbst übers Jahr?

Plesch: An die 100 sind es sicher.

 

Wie erfolgreich sind Sie dabei?

Plesch: Etwa 80 Prozent bring’ ich durch, aber es wird immer schwieriger, denn die Igel werden immer kränker. Was wir Menschen der Natur derzeit antun, ist schlimm. Das Einzige, das mich tröstet, ist: Wenn wir so weitermachen, sind wir irgendwann selbst dran.

Auf der Internetseite www.igelgug.de hat Ingrid Plesch viele Infos zusammengestellt. Ihre Telefonnummer: (09 11) 99 60 60.

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