Rehkitzen droht grausamer Tod

29.5.2017, 06:00 Uhr
Rehkitzen droht grausamer Tod

© Fotos: Winckler, Pleul/dpa

Was, Herr Schulte, bereitet Ihnen denn derzeit in der Wiese mehr Kummer – die Mähmaschine oder der freilaufende Hund?

Walter Schulte: Eindeutig die Maschine. Da hat sich technisch viel getan: Es gibt nicht nur Mähwerke vorne, sondern auch an beiden Seiten, das macht sie für die Tierwelt gefährlicher. In den ersten ein bis zwei Wochen zeigen etwa Kitze keinen Fluchtreflex, sie bleiben einfach liegen. Früher wurden die Wiesen im Mai oder Juni zur Gräserblüte geschnitten, dann noch einmal im August. Heute passiert das vier oder fünf Mal, um Tiere oder Biogasanlagen zu füttern. Um nicht falsch verstanden zu werden, ich will das nicht anprangern. Die Gegebenheiten sind so, man muss sich damit abfinden. Umso wichtiger ist aber die Zusammenarbeit von Landwirten und Jägern.

 

Rehkitzen droht grausamer Tod

© Winckler

Wie ist es darum im Landkreis bestellt?

Schulte: Es funktioniert aus meiner Sicht sehr gut, die Bauern tun ihr Möglichstes.

 

Und das wäre?

Schulte: Dem Jagdpächter rechtzeitig Bescheid zu geben, wenn eine Wiese zur Mahd ansteht.

 

Der Landesjagdverband Bayern empfiehlt eine Frist von 24 Stunden vorher, geht das nicht ein wenig an der Realität vorbei?

Schulte: Natürlich hat es der Bauer mit Blick auf das Wetter manchmal eilig. Aber ich hatte erst am Sonntag einen Anruf eines Landwirts aus meinem Revier in Meiersberg-Dippoldsberg, der wollte heute mähen. Ich habe meine Wildscheuchen aber schon auf einer anderen Wiese stehen. Da hat er gesagt, ok, dann verschiebe ich das auf Freitag oder Samstag. Das läuft alles sehr kooperativ ab.

 

Stichwort Wildscheuchen: Was tun Sie oder Ihre Kollegen, wenn Sie wissen, dass eine Wiese zur Mahd ansteht?

Schulte: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aber keinen Königsweg. Ich kann die Wiese vorher mit meinem Hund abgehen, der mir dann anzeigt: Da liegt etwas. Früher haben die Landwirte dafür sogar Schulklassen rekrutiert, das geht heute aber nicht mehr, schon allein, weil die Kinder sich Zecken einfangen könnten. Man kann auch Stangen mit Flatterbändern oder Alustreifen aufstellen. Die Rehgeiß wird sich gestört fühlen und ihre Kitze wegführen. Die Wildscheuchen oder Wildschreck, wie sie offiziell heißen, sind eine Art Lampen, die man in die Wiese steckt. Sie schalten sich mit der Dämmerung ein, strahlen in unregelmäßigen Abständen blaues Licht ab und geben Töne von sich, das vergrämt die Tiere ebenfalls. Der Landwirt sollte die Fläche von innen nach außen mähen, da das Wild ungern über offene Flächen flüchtet.

 

In Bayern und Baden-Würtemberg wurden vor zwei Jahren erste Versuch mit Drohnen unternommen, um Rehkitze aufzuspüren. Was halten Sie davon?

Schulte: Ich glaube kaum, dass das praktikabel ist, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen hat die Infrarottechnik einen entscheidenden Nachteil. Wenn es untertags schön warm war und der Boden aufgeheizt ist, funktioniert sie nicht. Zum anderen kosten die Drohnen immer noch um die 10 000 Euro. Umsonst gibt es Technik natürlich nicht. Die Wildscheuchen beispielsweise schlagen mit 90 Euro pro Stück zu Buche, eine Jagdgenossenschaft im Landkreis hat dafür jetzt auch 1000 Euro ausgegeben.

 

Gibt es eigentlich Zahlen, wie viele Kitze jährlich unter die Messer kommen?

Schulte: Deutschlandweit sollen es geschätzt etwa 100 000 sein, bezogen auf die Geburten rund 25 Prozent. Ungefähr die Hälfte können gerettet werden, wenn Jäger und Landwirte zusammenhelfen.

 

Wenn Sie ein Kitz finden, was tun Sie?

Schulte: Ich nehme mir Grasbüschel und trage es damit aus der Wiese. Draußen setze ich es in eine Kiste oder einen Weidenkorb, den ich abdecke. Ist die Fläche gemäht, lasse ich es wieder frei. Die Mutter holt es dann wieder ab. Wichtig ist nur, das Tier nie mit den bloßen Händen anzufassen, da es sonst den menschlichen Geruch an sich hätte, das würde die Geiß abschrecken.

 

Und auf was sollten Hundehalter in diesen Wochen beim Gassigehen achten?

Schulte: Hunde dürfen nicht in die Wiesen. Das Tier kann noch so gut erzogen sein, aber man weiß nie, wie es reagiert, wenn es etwas aufstöbert. Der Jagd- und Beutetrieb ist angeboren, da kann man dem Hund keinen Vorwurf machen. Notfalls muss er eben an die Leine.

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