Schick bis ins Genick

28.8.2013, 22:00 Uhr
Schick bis ins Genick

© Pfeiffer

Wasser und Hitze, das sind ihre besten Helfer. Im Sommer weicht Birgit Roßdeutscher das Stroh darin ein, im Winter bedampft sie die Kaplinen – so heißen die ungeformten Hut-Rohlinge aus Kaninchenhaar – und zieht sie dann über die hölzernen Formen aus Lindenholz. Das kostet Kraft. Aber Birgit Roßdeutscher mag die körperliche Anstrengung, das Reelle.

So wie bei den Formen. Aussagekräftig soll ein Hut sein, das Material darf sprechen. Die Modistin setzt als Borte einen ebenmäßigen Zopf unter die Krempe eines Strohhuts oder verleiht dem Modlett – so heißen die Gebilde, die aus geflochtenen Strohstreifen genäht werden – mit einem versetzten Mittelpunkt besonderen Pfiff. Schischi braucht sie gar nicht. Was nicht heißt, dass es nichts Ausgefallenes gäbe!

Schlichtes Anfängermodell

Ein himmelblauer Pillbox-Hut und ein keckes Federgebilde in Schwarz stechen hervor. Traut sich denn frau überhaupt, so etwas Extravagantes zu tragen? Es brauche schon etwas Übung, sagt Birgit Roßdeutscher. Der Anfängerhut ist schlicht, seine Form gängig. Schildkappen, Baskenmützen und Laufhütchen etwa. Dass aber jemand kein Hutgesicht hat, „das gibt es nicht“. So wie die Brille zum Gesicht und die Kleider zum Körper passen, sagt Birgit Roßdeutscher, passt auch ein Hut zum Gesicht. Sicher, nicht jeder Hut zu jedem – deshalb muss ausgesucht werden.

Die Variablen sind Gesicht und Kopf, klein und groß. Ein kleines Gesicht in einem großen Kopf beispielsweise wirkt unter einer breiten Krempe noch kleiner, das große Gesicht im kleinen Kopf sollte besser nichts Enganliegendes tragen. Und die Farben erst! Curry etwa und Lodengrün – da schüttelt es die Meisterin – sind keine Farben für Hüte. Denn sie geben unserer mitteleuropäischen Haut diesen Stich von Übelkeit...

Gespür geerbt

Das modische Gespür hat Birgit Roßdeutscher geerbt. Ihre Oma war „hutverrückt“, die Tante hat genäht und sie selbst schon in Schulzeiten gebastelt und gezeichnet. Um sie geschehen allerdings war’s, als sie zum Tagespraktikum zu einer Hutmacherin nach Bad Kissingen fuhr. „Als ich reinkam und es hat so dampfig und nach Kaninchen gerochen, habe ich sofort gewusst, das ist meins.“ 1992 schloss sie die Lehre ab, machte 1996 den Meister und sich 2005 selbstständig.

Die Hüte müssen die ganze Familie ernähren, Arbeit ist – inzwischen – für zwei da. Roßdeutschers Mann kümmert sich um das Büro, den Internet-Auftritt und die Ausstellungen. Der Hutladen ist auf etlichen Kunsthandwerksmessen vertreten, der Radius wächst beständig und reicht inzwischen bis Hanau und Neuburg an der Donau. Die 42-Jährige ist zwei Jahre im Voraus ausgebucht. Irgendwer muss die Hüte ja auch fertigen!

Die aktuelle Sommerpause des Ladens in der Nürnberger Straße 43 (bis 13. September) ist deshalb nur zu einem Teil Ferien, der andere ist der Winterkollektion gewidmet. Alles beginnt mit der Stoffauswahl, denn eine Form hat Birgit Roßdeutscher längst im Kopf. Dann sucht sie ein Schnittmuster oder entwirft ein neues.

Der Materialverbrauch erstaunt Laien immer wieder, aber so ein Frauenkopf hat immerhin zwischen 50 und 62 Zentimeter Umfang und misst vom Ohr zum Scheitel etwa 20 Zentimeter. Noch dazu schneidet Roßdeutscher alle gewebten Stoffe diagonal zu. „Damit sie sich bewegen und besser dem Kopf anpassen.“ Futter, Schild, Hutband, Bestickung – die Möglichkeiten, zu variieren, sind unerschöpflich. Keinen Hut gibt es zweimal, auch wenn manche Schnitte Evergreens sind. Aber schon in der Farbe, dem Material und der Garnitur – also Bänder, Knöpfe, Federn, Blumen – unterscheiden sie sich.

Über ihrem Arbeitstisch hängt ein Frauenfoto. Eine Schauspielerin, die Hut trägt. Genau den soll die Hutmacherin nacharbeiten. „Ein typisches 30er-Jahre-Gesicht“, findet sie, mit kantigem Kiefer und spitzem Kinn. Sie überlegt noch, wie sie die Wunschvorstellung auf die real existierende Kundin zuschneidet. Das Gute an ihrem Handwerk sei, sagt Birgit Roßdeutscher: „Fix ist nix.“ Sie kann immer ändern und tut es auch, wenn eine ihrer Kreationen bei der Anprobe nicht gefallen sollte. „Das ist wie beim Zahnarzt. Die Leute haben einfach Angst, sich zu verunstalten.“ Brauchen sie nicht haben.

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