Siegeszug der Plastikmännchen

13.1.2012, 09:00 Uhr
Siegeszug der Plastikmännchen

© Mark Johnston

Die Erfolgsgeschichte beginnt im Jahr 1876, als Andreas Brandstätter in der Nachbarstadt Fürth einen sechsköpfigen Schlossereibetrieb gründet. Der heutige Firmenname „geobra“ leitet sich vom Sohn des Firmengründers Georg ab, der die Firma 1908 übernimmt. Zirndorf wird im Jahr 1921 Standort. Neben anderen Metallwaren stellt man inzwischen auch Spielzeug aus Blech her: Wichtigste Artikel im Sortiment sind Zubehörteile zum Kaufladen wie Registrierkassen und Waagen, aber auch Spielzeugtelefone und Sparbüchsen

Siegeszug der Plastikmännchen

Im Zweiten Weltkrieg wird die Firma zu einem Rüstungsbetrieb: Statt Spielzeug werden Stielhandgranaten hergestellt — wie bei fast allen deutschen Rüstungsfirmen dieser Zeit — auch von Zwangsarbeitern; das Stammpersonal ist zum Militärdienst eingezogen. So ergeht es auch Karl, dem Vater des heutigen Firmeninhabers Horst Brandstätter, der im Krieg fällt; für den noch minderjährigen Erben übernehmen zwei Onkel die Leitung der Geschäfte. Der zivile Neuanfang nach Kriegsende beginnt damit, dass die im Lager befindlichen, noch unbefüllten Granaten zu Sparbüchsen umgearbeitet werden.

Der Eintritt Horst Brandstätters 1952 bringt frischen Wind in die Firma. Statt Metall soll nun vorwiegend Kunststoff als Werkstoff verwendet werden. Der gelernte Formenbauer besitzt bereits auch ein gutes Gespür für Märkte und Trends. Bevor die Hula-Hoop-Welle von den USA nach Europa überschwappt, ahnt der Jungunternehmer dies voraus: Eigenhändig konstruiert er eine Maschine, die aus Plastikschläuchen Hula-Hoop-Reifen formt.

Der Hula-Hoop-Boom spült kurzfristig frisches Geld in die Firmenkasse. Von nachhaltiger Bedeutung ist aber die zur Fertigung entwickelte Technologie, die der Firma ganz neue Herstellungsmöglichkeiten für vielerlei Arten von Plastikartikeln eröffnet. Trotz solcher Innovationen gerät die Firma Anfang der 70er Jahre in die roten Zahlen. Sie ist einem Zangenangriff von zwei Seiten ausgesetzt — dem starken Konkurrenzdruck, aber auch durch die Ölkrise, die den Preis für Plastik in die Höhe treibt.

Dass das Unternehmen sich schließlich aus dieser existenzbedrohenden Situation befreit, ist dem Geniestreich eines Mitarbeiters zu verdanken — und einer Bauchentscheidung des Firmenchefs etliche Jahre früher: Beim Bewerbungsgespräch hatte Hans Beck kein einziges Wort herausgebracht. Dennoch entschied sich Brandstätter für den introvertierten Mann als neuen Entwicklungsleiter. Mit der Erfindung des Playmobil-Männchens rettet Beck nun nicht nur die Firma, sondern verhilft geobra auch zum Durchbruch.

Obwohl er zunächst skeptisch ist, präsentiert Brandstätter das kleine Männchen mit dem freundlichen Gesicht auf der Spielwarenmesse im Februar 1974. Mit dem gezielten Gerücht, ein Großkonzern habe das alleinige Vertriebsrecht erworben, heizt er die Nachfrage zusätzlich an — die Branche wittert einen Trend, den sie sich nicht entgehen lassen will. Insgesamt kann der Unternehmer Order in Höhe von mehr als drei Millionen Mark mit nach Zirndorf nehmen.

Gebrauchte Maschinen gesucht

Nur: Die Produktionsanlagen sind für Aufträge in dieser Größenordnung viel zu klein, und die Lieferzeit für neue Maschinen ist viel zu lang. Auch in dieser Situation erweist sich Horst Brandstätter als äußerst findig: Mit einer Kundenliste des betreffenden Maschinenbauers bewaffnet, klappert er das Land erfolgreich nach geeigneten gebrauchten Maschinen ab.

Ab da geht es nur noch bergauf: Playmobil katapultiert die Firma geobra wenige Jahre nach seiner Markteinführung an die Spitze der deutschen Spielzeughersteller — eine Stellung, die das Zirndorfer Unternehmen bis heute verteidigen konnte. Geobra beschäftigt rund 3250 Mitarbeiter weltweit, davon rund 1760 in Deutschland, bei einem Jahresumsatz von zuletzt 559 Millionen Euro im Jahr 2010. Etwa 90 Prozent des Umsatzes entfällt auf die Marke Playmobil.

Diese umfasst heute insgesamt 280 verschiedene Artikel. Klassiker sind Piratenschiff und Ritterburg; etwa ein Drittel des Sortiments wird jährlich für etwa 100 Neuheiten ausgetauscht. Kriegsspielzeug wie Panzer oder aktuelle Militär-Themen sind dabei absolutes Tabu: Aufgrund der pazifistischen Gesinnung von Playmobil-Vater Beck wurden anfangs sogar die Cowboyfiguren ohne Pistolen ausgeliefert — wovon man allerdings schnell wieder abgelassen hat, nachdem es Proteste vonseiten der Kinder gehagelt hatte. Deren Wünsche haben traditionell großen Einfluss auf die Spielzeugentwickler in Zirndorf, die jährlich säckeweise Kinderbriefe mit Anregungen erhalten.

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