Stachlige Schönheit residiert in Oberasbach

29.7.2017, 09:00 Uhr
Stachlige Schönheit residiert in Oberasbach

© Foto: Brigitte Becker

Ihre Residenz ist das Gewächshaus. Wilhelm Becker stellt vor: "Das ist sie: Unsere Königin der Nacht." Tatsächlich geht von dem riesigen Kaktus etwas Achtunggebietendes aus. Seine meterlang erscheinenden Triebe schlängeln sich aus dem großen Topf, haken sich ein, wo immer sich eine Gelegenheit bietet und erwecken – zumindest bei sehr fantasiebegabten Besuchern – den Eindruck, als führten sie ein Eigenleben.

Doch das wahre Geheimnis dieser beeindruckenden Pflanze aus der Familie der Kakteengewächse wird erst enthüllt, wenn es Nacht wird. "Ihre Blüten beginnen am Abend damit, sich langsam zu entfalten", sagt Becker. "Und dann sind sie unglaublich schön und duften wunderbar nach Vanille."

Der 79-Jährige hat in diesem Sommer mehr als 70 Knospen an seiner Königin gezählt. Aus Erfahrung weiß er genau, welche als nächstes erblühen. "Pro Nacht sind es maximal sechs bis sieben Stück." Jetzt ist es helllichter Tag, an dem großen Kaktus rührt sich nichts. Fast scheint es, als sammle das Gewächs Kraft für den spektakulären Auftritt zur späten Stunde. Wilhelm Becker deutet auf die knapp fingerlangen Knospen, die noch nicht erkennen lassen, was aus ihnen wird. Daneben sind auch Überreste der äußerst kurzlebigen Blüten zu sehen, die zumindest andeuten, wie sagenhaft groß sie in voller Pracht gewesen sein müssen.

"Eine Blüte ist um die 18 Zentimeter breit und etwa 30 Zentimeter lang", erklärt der Kakteen-Kenner. "In diesem Jahr beginnen sie gegen 20 Uhr damit, sich langsam zu öffnen, um 22 Uhr sind sie perfekt." Es ist ein Zauber, der nur bis zum nächsten Morgen wärt. Legt Wilhelm Becker denn derzeit Nachtschichten ein, um nichts zu verpassen?

Er muss lachen: "Ich geh‘ eh nicht so bald zu Bett und natürlich schaue ich immer noch mal ins Gewächshaus, wenn es so weit ist." Vor Jahren, als die Königin zum ersten Mal loslegte, da war das noch anders: "In der ersten Zeit bin ich auch um Mitternacht raus." Das Ereignis zieht unweigerlich Besucher an: "Manche sind so begeistert, die kommen jedes Jahr und schauen sich das an", meint er erfreut.

Die beeindruckende Selenicereus grandiflorus ist bei weitem nicht die einzige Kaktee im Becker’schen Gewächshaus. Um die 100 gedeihen hier. "Angefangen hat das 1961 mit einer ganz kleinen Pflanze", erinnert sich der 79-Jährige, der Beamter bei der Bahn war. "Ein Kollege hat mir einen Kaktus geschenkt, der mir einfach gut gefallen hat." Auf der Fensterbank im Wohnzimmer kam nach und nach ein Exemplar zum nächsten. "Die meisten habe ich aus Samen selbst gezogen."

Wilhelm Becker las Bücher zum Thema und wusste irgendwann: "In der Wohnung blühen Kakteen nicht, das verhindert die Heizungswärme im Winter." Seit im Garten das kleine Gewächshaus steht, klappt es auch mit den Blüten. Eine Erfahrung hat der Kakteenfreund aus Oberasbach gemacht: "Je weniger schön die Pflanze, um so schöner blüht sie."

Ein absolutes Schwergewicht unter seinen stachligen Schönheiten hört auf den drastischen Namen "Schwiegermuttersitz". Mit einer Höhe von rund 60 Zentimetern und gut einem Meter Umfang kann das gute Stück punkten: "Den habe ich 1964 auch aus einem Samenkorn gezogen." Dringend müsste ein neuer Topf her. Aber: "Ich habe wirklich im Moment keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll. . ."

Dann schaut er noch einmal hinüber zu seiner Königin und ist sich sicher – sie wird bald erneut Hof halten: "Heute Abend geht es wieder los."

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