Start ins neue Leben: Ehemalige Flüchtlinge erzählen

20.9.2014, 16:00 Uhr
Start ins neue Leben: Ehemalige Flüchtlinge erzählen

© Foto: AFP

Ein kleiner Handgriff, und das Leben von Hieu Giang wäre vielleicht zu Ende gewesen, ehe es richtig begonnen hatte. Damals, 1979, auf dem Südchinesischen Meer, weit entfernt von der alten Heimat Vietnam. Zusammen mit seinen Eltern, den beiden Schwestern (vier Jahre und acht Monate alt) und rund 200 weiteren Menschen war der damals sechsjährige Hieu auf einem kleinen Fischkutter zusammengepfercht. Nur ein, zwei Tage, so die Schlepper, würde die Fahrt in ein sicheres Land dauern. Vietnam mussten die Giangs verlassen, weil der Vater die Rache der Kommunisten fürchtete. Doch es dauerte länger, Vorräte und Wasser waren bald aufgebraucht. Da entdeckte der kleine Hieu das Essen, das der Kapitän für sich versteckt hatte. „Ich bin mir sicher, wenn ich es genommen hätte, er hätte mich über Bord geworfen“, sagt der heute 41-Jährige.

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Aber dies war nicht die erste Hürde, die die Familie auf ihrer Flucht zu bewältigen hatte. Da war zunächst das Kentern des Holzkahns vor einer kleinen indonesischen Insel. Hieus Vater rettete Frau und Kinder, weil er als Einziger schwimmen konnte. Rund ein Drittel der Flüchtlinge erreicht das sichere Ufer nicht. Die Giangs bleiben acht Monate auf der Insel; bauen sich ein Häuschen, kämpfen mit den widrigen hygienischen Bedingungen und dem knappen Nahrungsangebot. Ein Kampf, den Hieus kleine Schwester verliert: Sie stirbt im Alter von zehn Monaten.

Mit Flipflops im Schnee

Irgendwann erreicht das Rote Kreuz das Eiland; ein Flugzeug bringt die Familie nach Deutschland. Dort wartet der nächste Schock, ein Kulturschock: „Wir kamen im November in Frankfurt an und standen mit unseren Flipflops im Schnee“, erinnert sich Giang. Auch das erste Auffanglager ist ihm noch präsent. Im baden-württembergischen Bad Buchau waren die vier zunächst im Operationssaal einer ehemaligen Klinik untergebracht.

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Während des Asylverfahrens lebte die Familie in mehreren Wohnheimen, zuletzt in Nürnberg. „Das war eine alte Fabrikhalle, in der sich bis zu sieben Leute ein Zimmer teilten“, sagt Giang. Doch für den zweifachen Familienvater war etwas anderes wichtig: „Wir sind damals so freundlich aufgenommen worden, alle waren so hilfsbereit, wir Kinder hatten sogar deutsche Pateneltern.“

Es folgten Deutschkurse für die Eltern, die Kinder besuchten die Schule und lernten dort die Sprache. Heute ist Hieu Giang bestens integriert; er hat studiert, arbeitet als Übersetzer und im Catering und ist Vorsitzender des Zirndorfer Integrationsbeirats, um Menschen mit Rat und Tat zu unterstützen, die hier ebenfalls eine neue Heimat suchen.

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© Foto: Anestis Aslanidis

Das ist auch der Antrieb für Eugen Schäfer, der sich ebenfalls im Integrationsbeirat engagiert. 1996 verließ seine Familie die Heimat in Sibirien, um sich als Spätaussiedler in Deutschland niederzulassen. Zwölf Jahre alt war Schäfer, als er mit den Eltern, einem Onkel und dem älteren Bruder ins Flugzeug stieg. Das Ziel: Frankfurt. Dem vorausgegangen war ein Aussiedlungsantrag der Schäfers, weil Vater und Onkel deutsche Wurzeln haben.

Ein Übergangswohnheim im niedersächsischen Friedland ist ihre erste Station. „Wir hatten dort ein Zimmer ganz für uns alleine“, beschreibt Schäfer den Hauch von Luxus, der Flüchtlingen heute meist verwehrt bleibt. Nach vier Tagen ging es nach Nürnberg, wo bereits Verwandte lebten. Ein weiteres Übergangsheim wurde Heimat auf Zeit. Ganz präsent ist Schäfer aber noch das erste Weihnachtsfest wenige Wochen nach der Ankunft. Es fand bei den Verwandten statt und war für den zwölfjährigen Buben „einfach phänomenal.“

Ein Jahr lang verbrachten die Schäfers dann in einem Übergangsheim mit einem eigenen Zimmer sowie Bad und Küche zur Gemeinschaftsnutzung. Geprägt war diese Zeit vor allem davon, Deutsch zu lernen; für die Kinder galt es, erste Freundschaften zu knüpfen. Nach dem Hauptschulabschluss, einer Ausbildung und seiner Meisterprüfung ist Eugen Schäfer nun Kfz-Sachverständiger. „Ich bin vollkommen zufrieden mit meinem Leben“, sagt der zweifache Familienvater. „Ich habe alle Unterstützung erfahren, die man sich nur vorstellen kann.“

Als Mitglieder im Zirndorfer Integrationsbeirat möchten Schäfer und Giang den Flüchtlingen dieser Tage helfen — etwa bei Sprachproblemen. Giang glaubt, dass der Start für die Menschen heute schwieriger ist als seinerzeit. Zum einen, weil aufgrund vieler Krisenherde auf der Welt sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland strömen. Zum anderen, weil er die bürokratischen Hürden als recht hoch einschätzt. In einem Punkt aber ist er sich sicher: „Wer offen ist für das Leben hier, kann es schaffen.“

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