Ungewöhnliche Freundschaft: Gams Flecki und Franz

5.9.2017, 17:07 Uhr
Ungewöhnliche Freundschaft: Gams Flecki und Franz

© Foto: Petra Fiedler

Franz Kaserer kann sich auf den Tag genau erinnern: Es ist Freitag, 16. Juli 1999. Mit seiner Frau und den Kindern ist der damals 50-jährige Bergbauer und Gemeindearbeiter zu einer Bergtour aufgebrochen. Die Familie wollte zur Pfandl-Alm, die über den Sommer auch Heimat der eigenen Ziegen ist. Kaserer selbst hatte sich zudem ein wenig Kletterei in den Wänden des Hochwart vorgenommen.

Er ist gerade zwischen Rot- und Schwarzwand unterwegs, als er ein jämmerliches Wehklagen oben im Fels hört. "Erst hab ich gemeint, dass da ein Ziegenkitzlein schreit". Doch Franz Kaserer findet zwei Meter tief in einer Felsspalte keine junge Hausziege, sondern ein Gamskitz. Von der Mutter fehlt jede Spur. Franz klettert in den Fels und birgt das wenige Wochen alte Tier.

Im Rucksack

Da steht er nun im steilen Gelände und hält das verschreckte Etwas vor der Brust. Nach unten ginge es nur mit freien Händen, aber nicht mit einem lebendigen Fundstück im Arm. Also geht er 400 Höhenmeter steil nach oben, zum Gipfelkreuz des Hochwart. Dort helfen Wanderer weiter. Die junge Gams kommt in den Rucksack und der Franz wundert sich zum ersten Mal: "Die ist einfach bei mir geblieben, hat keine Anstalten zur Flucht gemacht". Auch Frau und Kinder staunen nicht schlecht, als Franz verspätet die Pfandl-Alm erreicht. Für die Familie Kaserer steht einhellig fest: Jetzt gehört eine Gams zur Familie.

Sie kommt erst einmal in den heimischen Ziegenstall. Drei Tage lang versorgt Franz Kaserer die inzwischen auf den Namen Flecki getaufte Gams rund um die Uhr mit Ziegenmilch. Am Tag vier ein großer Schrecken: Der Schlafplatz ist verwaist. Aber Flecki ist nicht ausgebüxt, sondern wurde von einer Ziege adoptiert, sie liegt eng geschmiegt an dem zahmen Tier. "Da hab‘ ich gewusst, dass wir das Kitz durchbringen", erzählt der Franz von dieser positiven Wendung.

Von da an entwickelt sich eine wunderbare Tiergeschichte. Franz selbst spricht von der Einmaligkeit der Beziehung zwischen Flecki und ihm. Flecki bleibt den ersten Sommer am Hof.

Besuch vom Bock

Im nächsten Jahr führt sie Franz gemeinsam mit den Ziegen auf die Pfandl-Alm. "Ich hab‘ gemeint, wenn sie erwachsen ist, wird sie wieder auswildern", erklärt er. Aber Flecki hat andere Pläne. Im Herbst geht sie wieder mit zurück zum Hof. Im Dezember bekommt Flecki Besuch: ein stattlicher Gamsbock. Das hat Folgen: 2001 bekommt Flecki Greta, ihr erstes Kitz. Weitere zwölf werden folgen. Die Jungtiere aber bleiben nicht, sie folgen dem Ruf der Wildnis und verschwinden.

In all den Jahren ist Flecki beim Franz nahe der Alm geblieben, als er dort oben wirtschaftete. Und was noch viel erstaunlicher ist, sie kommt aus den Bergen herunter, wenn er, inzwischen nicht mehr Pächter, dort oben zu Besuch auftaucht. "Ein so gscheites und treues Tier", Franz ist keiner, der den Pathos pflegt, aber wenn er von seiner Flecki spricht, dann geht ihm das Herz auf.

Der Ultner berichtet von gemeinsamen Autofahrten mit Flecki — "die Leut hat‘s g‘rissen" — von Fleckis Neckspielen mit Kindern und Enkeln und dass ihm Flecki im Winter bei Arbeiten rund ums Haus nicht von der Seite weicht.

Franz und Flecki haben natürlich in Südtirol und darüber hinaus Berühmtheit erlangt. Fernsehsender, Tages- und Boulevardblätter, alle haben sie schon ihre Aufwartung gemacht und von Flecki, der zahmen Gams, berichtet. Kapital hat der Franz aber nie aus der Geschichte geschlagen: "Das wäre unanständig und unfair der Kreatur gegenüber. Die Flecki darf ein freies und wildes Tier bleiben."

Augentropfen für Seniorin

Wenn man da von wild noch reden mag. Flecki ist mittlerweile 18 Jahre alt und nicht mehr so fit: Beweglichkeit, Seh- und Hörvermögen lassen nach. Franz verabreicht Augentropfen, wenn er Flecki habhaft wird. Man muss es sich vorstellen: Ein Mensch, der einer Gams Augentropfen appliziert und eine Gams, die sich das gefallen lässt.

Nicht jeder hat das Glück, Flecki auf der Sommeralm zu treffen. "Als wenn sie es merken würde, dass Du mit der Kamera unterwegs bist", tröstet Franz, weil der Gast aus Deutschland nur die Foto-Flecki zu Gesicht bekommt. Und Franz verhehlt nicht, dass ihn Sorgen um Flecki plagen. Er hat mittlerweile Wolfs- und Bärenspuren im Tal ausgemacht. Die 18-jährige Gams-Oma hätte wohl bei einem Wolf keine Chance.

 

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