Untergang in starken Farben

8.9.2015, 12:00 Uhr
Untergang in starken Farben

© Foto: Thomas Klein

Was geht da vor sich? Noch sieht die Szene relativ naturbelassen aus, aber der Gebäudekomplex im Hintergrund strahlt so etwas beunruhigend Verlassenes, ja Ruinöses aus.

Kräusellinien ziehen sich durch Himmel und Gewässer. Merkwürdige Gespinste verfilzen sich von Ast zu Ast. Ein paar Bilder weiter hat sich eine komplett neue Ordnung entwickelt. Ein wabenartiges Netz aus Sechsecken erstreckt sich, von schwarzen Löchern durchsetzt. Zickzacklinien durchziehen den Himmel — sofern „oben“ gleichbedeutend mit Himmel ist — wie ein Nordlicht.

Und das sind nur die Schwarzweiß-Zeichnungen. Wenn Stephan Schwarzmann zur Farbe greift, dann liefern sich Blau, Grün, Rot und Orange einen Stellungskrieg zwischen den Angriffskoordinaten Linie, Punkt und Fläche. Hoppla, was gedeiht denn da? Das schaut doch aus wie Pilze. Schwammerl, wie sie kein Pilzführer auflistet, geschweige denn weiterempfiehlt.

Doch Stephan Schwarzmann ist nicht der Typ, der, von welchen bewusstseinserweiternden Mitteln auch immer angetörnt, zum Pinsel greift und einfach wild draufloslegt. Seine schwarzweißen wie farbigen Zeichnungen und Linolschnitte sind wohlüberlegte Kompositionen — allesamt im DIN A 4 bzw. DIN A 5 Hochformat — , die vom Landschaftsbild bzw. der Architekturzeichnung ausgehend die Dimensionen von Außen und Innen wild durcheinanderbringen. Und zwar o lange, bis der Betrachter nicht mehr weiß, wo er sich eigentlich befindet.

Comic-Teile

Dabei sind Schwarzmanns Bilder beileibe nicht statisch. Prismen, Wellenkringel und Explosionszacken, die auch aus Action-Comics stammen könnten, sorgen für optische Turbulenzen, fast glaubt man Sprechblasen mit Lautmalereien wie „Zack! Peng! Knatteradomms!“ zu lesen. Aber Sprechblasen gibt es hier nicht, ebensowenig Menschen oder Tiere. So muten Schwarzmanns Bilderfindungen wie die Teile eines auseinandergerissenen Comics an, die der Betrachter zu einer Bildergeschichte zusammenzufügen hat.

Hinterland — das klingt mysteriös, das klingt nach einer Abgelegenheit, in der sich ungeahnte Gefahren zusammenbrauen. Fast so gefährlich wie „Zone“ oder, noch schlimmer, „Zonenrandgebiet“. Nicht von ungefähr positionieren Staaten ihre Atomkraftwerke gerne in nächster Nähe zum Nachbarland und hoffen im Fall des Falles auf günstigen Wind. Aber so einfach lässt sich der gebürtige Nürnberger und Wahlfürther Stephan Schwarzmann, Jahrgang 1976, nicht festnageln.

Nein, „#Hinterland“ ist kein verspäteter Beitrag zum Reaktorunglück im japanischen Fukushima, das wäre nur eine Deutung unter vielen. Genauso könnte man als Betrachter von künftigen Genetik-Katastrophen spekulieren oder über den Besuch von Außerirdischen, die ein paar Scherzartikel vom Andromedanebel hinterlassen haben.

Einige Zeichnungen bringen dann aber doch den Menschen ins Spiel. Wir sehen Hände, die an Fäden und Zwirnen ziehen und seltsame Kokons flechten. Was mag da drin sein? Vielleicht reifen da unsere Doppelgänger heran, wie sie der paranoide Sience-Fiction-Klassiker „Invasion der Körperfresser“ in den fünfziger Jahren ersonnen hatte. Aber dann müssten die Hände doch nichthumanoid sein? Nein, wir selbst sind es, die unseren eigenen Untergang herbeibasteln. Natürlich immer in der besten Absicht. . .

„#Hinterland“: Galerie in der Kofferfabrik (Lange Straße 81), Tel. 70 68 06. Montags bis samstags 18-1 Uhr, sonntags 10-1 Uhr. Bis 31. Oktober.

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