Vergebliches Warten auf den Arzt

14.6.2014, 21:00 Uhr
Wer in Fürth, Nürnberg oder Erlangen die 112 wählt, landet in der Integrierten Leitstelle am Nürnberger Hafen, die von der Berufsfeuerwehr betrieben wird. 1000 Anrufe gehen hier täglich ein.

© Michael Matejka Wer in Fürth, Nürnberg oder Erlangen die 112 wählt, landet in der Integrierten Leitstelle am Nürnberger Hafen, die von der Berufsfeuerwehr betrieben wird. 1000 Anrufe gehen hier täglich ein.

Der Fall: Die Frau ist Krebspatientin, hat gerade die erste Chemotherapie hinter sich – als sie am Freitagabend plötzlich Bauchkrämpfe bekommt. Auch Beine und Füße schmerzen, die Unterlippe platzt auf. Sie kann die Symptome nicht einordnen.

Gegen 22 Uhr wählt sie die 112 und wird von der Integrierten Leitstelle an den Ärztlichen Bereitschaftsdienst verwiesen. Unter der bayernweiten Rufnummer 116 117 schildert sie ihre Beschwerden, der Mitarbeiter erklärt, der diensthabende Bereitschaftsarzt sei unterwegs. Der Mann der Patientin schaltet alle Lichter am Haus ein, öffnet das Gartentor. Als nach einer Stunde der Arzt immer noch nicht gekommen ist, ruft die Frau erneut an. Und wird vertröstet: Der Arzt sei verständigt… Um 2 Uhr nachts schließlich nimmt sie Tabletten und geht – unversorgt – mit Schmerzen ins Bett.

Wie kann das sein? „Wir bedauern zutiefst, was der Patientin hier widerfahren ist“, entschuldigt sich die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB), die der Sache auf Nachfrage der Fürther Nachrichten nachgegangen ist. Der Mitarbeiter des Call-Centers – die Vermittlungs- und Beratungszentrale der Gedikom, ein Tochterunternehmen der KVB – habe den Anruf korrekt im System aufgenommen, aber versäumt, den Arzt zu verständigen. Als die Patientin dann zum zweiten Mal anrief, habe der Mitarbeiter am Telefon geschlossen, dass sich deren Zustand nicht verschlimmert habe – und nichts getan. „Dies war aufgrund des Meldebildes und der Einsatzpriorität ein Fehler.“

Ein bedauerlicher Einzelfall – oder ein systembedingtes Versagen? Nachfrage bei der Integrierten Leitstelle. Vom Nürnberger Hafen aus betreut sie 240.000 Rettungsdiensteinsätze und Krankentransporte jährlich. Sie koordiniert dabei 59 Rettungs- und 74 Krankentransportwagen, 17 Notarzteinsatzfahrzeuge und den Rettungshubschrauber Christoph 27. Täglich treffen 1000 Anrufe hier ein.

Am Telefon sitzen 43 Disponenten. Sie müssen ausgebildete Rettungssanitäter oder -assistenten sein, einen medizinischen Aufbaulehrgang absolviert haben und Gruppenführer der Feuerwehr sein. Sie nutzen neben ihrem Wissen einen „Indikationskatalog“, um die beschriebenen Beschwerden einzuschätzen. Auf dieser Basis wurden die Schmerzen der Tuchenbacherin als nicht lebensbedrohlich eingestuft, eine Blaulichtfahrt als nicht nötig – also ein Fall für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst.

Andrang am Samstag

Dieser nimmt in zwei Vermittlungs- und Beratungszentralen, in München und in Bayreuth, rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr medizinische Notfälle entgegen. Die zentralen Anlaufstellen vermitteln, wenn Haus- und Facharztpraxen geschlossen haben, an den Dienst habenden Bereitschaftsarzt oder verweisen auf die nächstgelegene Bereitschaftspraxis. Nach Auskunft der KVB werden jährlich 1,5 Millionen Patienten an den Ärztlichen Bereitschaftsdienst vermittelt, an dem sich – mit wenigen Ausnahmen – jeder der 21.000 Vertragsärzte in Bayern beteiligen muss.

In der Regel sitzen drei bis fünf Mitarbeiter in den Nächten am Telefon, Samstagvormittags herrscht besonderer Andrang – dann sind es bis zu 50. Ihre Qualifikation: eine medizinische Ausbildung – das muss nicht der Rettungsassistent sein, es darf auch der Altenpfleger oder die Zahnarzthelferin sein; ergänzt um Fortbildungen, etwa zum Umgang mit Meldebildern, und Kommunikationsschulung.

Kein Zweifel, dass die Kommunikation mit der Patientin aus Tuchenbach fehlerhaft war. Die Mitarbeiter werden, so die Versicherung der KVB, nochmals geschult, der Gedikom-Geschäftsführer hat sich bei der Frau persönlich entschuldigt. Das tröstet sie wenig: „Ich habe im Moment andere Sorgen“, sagt sie, den Kampf gegen den Krebs.

Warum sie sich mit ihren Schmerzen nicht hat in die Klinik fahren lassen von ihrem Mann oder Nachbarn? Weil sie doch auf den Bereitschaftsarzt wartete – und zumindest erwarten durfte, dass sie angerufen würde, falls der bei anderen Patienten aufgehalten worden wäre. Ihre Telefonnummer hatte sie hinterlassen. Bei zwei früheren Notfällen, das hat sie auch erlebt, kam der Notarzt innerhalb einer Viertelstunde. Deshalb hat sie sich auch bei ihrer Krankenkasse beschwert.

Die Barmer GEK will der Sache nachgehen und die KVB zur Stellungnahme auffordern, viel mehr kann sie nicht tun. „Wir können Versicherte nur ermuntern, sich in solchen Fällen zu beschweren. Das ist ihr gutes Recht“, sagt eine Sprecherin. Am besten natürlich schriftlich.

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