Verlobte von Sascha L. schildert Angriff vor Gericht

10.10.2015, 11:00 Uhr
Verlobte von Sascha L. schildert Angriff vor Gericht

© Foto: Horst Linke

So kann man sich einen vernichtenden Blitzschlag vorstellen: Ein Paar besucht eine Geburtstagsfeier, beide essen und trinken gut, führen angenehme Gespräche und gegen Mitternacht verlassen sie das Gasthaus. Anna D. und Sascha L. gehen Arm in Arm, sie lachen auf dem Heimweg mit L.s Cousin Jonny S. und ihrem Bekannten Thomas S. – die beiden laufen vor ihnen. Keiner der vier weiß, dass sie nie wieder gemeinsam feiern werden.

Es war eine kühle Winternacht, jene Nacht zum 1. Februar 2015. Kein Gewitter, kein Donner – keine Vorwarnung des Himmels. Ich habe mich mit Sascha unterhalten, sagt Anna D. vor Gericht, die drei Männer, die ihnen am U-Bahnhof Jakobinenstraße entgegenkamen, nahm sie „überhaupt nicht wahr“. Ähnlich schildert es Thomas S. (52), er war mit Jonny S. (32) ins Gespräch vertieft. Und dann, wie aus dem Nichts, schlug der Blitz ein und nahm Anna D. alles.

Stoß und Kopfnuss

Ich wurde angerempelt, schildert sie vor der Jugendkammer I des Landgerichts Nürnberg-Fürth. „Ein absichtlicher Stoß“, meint Jonny S., „wie auf dem Schulhof“.

Sie habe sich beschwert, vielleicht süffisant „Entschuldigung“ zu dem Mann gesagt, so Anna D., genau weiß sie es nicht mehr. Aber sie glaubt, dass so die folgende Attacke ausgelöst wurde, zeitweise gab sie sich deshalb die Schuld. Die Männer, sagt sie, prügelten auf Sascha (28) ein, sie schrie „aufhören“, versuchte, wie Jonny und Thomas auch, die Angreifer wegzuzerren. Auf einmal bekam sie eine Kopfnuss, der Boden unter ihren Füßen brach ein. Sie sank nieder.

Als sie später bei der Polizei aussagte, erwähnte sie diesen Stoß nicht. Auch erinnern sich die Zeugen unterschiedlich, ob Anna D. an der rechten oder linken Schulter angerempelt wurde. Um Widersprüche wie diese kreisen die Fragen der Juristen, stundenlang. Doch an der U-Bahnhaltestelle hatte ein Sturm der Gewalt getobt – „ich hatte das alles noch gar nicht begriffen“, sagt Anna D. vor Gericht.

Die Anklage geht davon aus, dass die drei Männer (17, 18 und 20 Jahre), bei den beiden Älteren handelt es sich um Brüder, die andere Gruppe verprügelten. Der 20-Jährige soll Sascha L. erstochen haben. Als L. am Boden lag, rannten die drei in den U-Bahnhof.

Anna D. legte Saschas Kopf auf ihren Schoß, „ich habe seinen Puls gefühlt“, beschreibt Thomas S. (52); er habe Angst gehabt, dass Sascha sterben würde. Auch er wurde brutal zu Boden geschlagen, von wem weiß der 52-Jährige nicht, doch bereits damals sei der Schock über den Angriff größer gewesen als der Schmerz. All dies sei „das Schlimmste, was mir je widerfahren ist“, sagt der Zeuge, „es frisst sich immer wieder in mein Hirn“.

Angeklagter entschuldigt sich

Als sich zumindest der 17-Jährige (Verteidiger: Franz Heinz) als einziger der Angeklagten bei dem Zeugen entschuldigt, erinnert ihn Thomas S. an die Mutter des Getöteten. Doch auch am zweiten Prozesstag richtet keiner der Angeklagten das Wort an sie.

Sie sitzt als Nebenklägerin von Angesicht zu Angesicht dem Mann (20) gegenüber, der ihren Sohn erstochen haben soll, dessen Bruder (18) ihn geschlagen haben soll und muss hinnehmen, wie deren Verteidiger Alexander Horlamus, Heidrun Meier und Rainer Deuerlein die Schuld dafür bei ihrem Sohn suchen.

Schlug er zuerst zu? Beschimpfte er die Angeklagten als „Kanake“ und „Hurensohn“? Sollten die Beleidigungen, wie von dem 20-Jährigen Angeklagten behauptet, zutreffen, könnte ein minder schwerer Fall des Totschlags vorliegen, L. hätte die Täter womöglich, so steht es im Strafgesetzbuch, bis „zum Zorn gereizt“.

Strafverteidiger formulieren Zweifel wie diese, doch seine Verlobte lässt an der Ehre des Sascha L. nicht rütteln. Es stimmt, sagt sie, Sascha habe keine weiße Weste gehabt, er sei in seiner Jugend einen „schwierigen Weg“ gegangen, „doch er war ein guter Mensch“. Er habe „keine Ausdrücke“ gesagt, ausländerfeindliche schon gar nicht. Überhaupt stamme sie selbst, ebenso wie die beiden angeklagten Brüder, aus Polen. Ausdrücklich betont sie, dass keiner aus ihrer Gruppe die Angeklagten vorher kannte.

Sascha, sie nennt ihn „den Mann ihres Lebens“, wollte „eine Familie gründen“. Es hätte gelingen können. Anna D. war schwanger, Wochen nach der Tat hat sie auch ihr Kind verloren. Der Prozess geht weiter.