Wacht auf, Verdammte dieser Erde!

14.10.2017, 17:09 Uhr
Wacht auf, Verdammte dieser Erde!

© Foto: Tim Händel

Den Auftakt machte am Donnerstag "Oktober", der stumme Klassiker von Sergej Eisenstein aus dem Jahre 1928. Zum zehnjährigen Jubiläum der Oktoberrevolution in Auftrag gegeben, ist dieser Film vor allem ein Propagandafilm. Das merkt man auch an den zahlreichen Eingriffen während der Entstehung und danach, denen etwa die Rolle Trotzkis zum Opfer fiel. Natürlich sind die Bürgerlichen feiste Ekelpakete, die Arbeiter hingegen von loderndem Tatendrang erfüllt, der Machthaber Kerenski ein Despot, den der Filmschnitt mit einem Napoleon im Puppenformat gleichsetzt.

"Oktober" schildert den Zeitraum zwischen Februar und Oktober1917, als nach dem Zaren eine provisorische Regierung das marode Reich in demokratische Bahnen zu lenken versuchte, gleichwohl von England und Frankreich genötigt war, den Krieg gegen Deutschland trotz totaler Erschöpfung fortzusetzen. Eine Zeit, in der zarentreue Generäle einen Putschversuch unternahmen. Eine Zeit, in der die Bolschewiken erst als Verräter eingestuft waren, dann jedoch dringend gegen die Putschisten benötigt wurden.

So viel passiert, dass der Unkundige bald die Orientierung verliert. Wer macht gerade was wann warum? Wer gehört zu welchem Lager? Hysterisch fuchtelnde Agitatoren wirken zudem auf heutige Betrachter gar nicht mehr als Vorbilder. Und bei der Erstürmung des Winterpalais wird der Weinkeller lustvoll zu Klump geschlagen, anstatt dass die Kämpen sich ordentlich zuprosten.

Gleichberechtigung für alle

Doch "Oktober" soll im Uferpalast keine museale Gedenkstunde sein, sondern Fragen aufwerfen. Hierzu hatte Filmtage-Initiatorin Serap Asiran den Berliner Historiker Sebastian Zehetmair eingeladen. Das Mitglied der historischen Kommission der Partei Die Linke betrachtet die Oktoberrevolution als einen "offenen Moment" in der Geschichte. Dieser Moment bescherte den Russen die volle Gleichberechtigung der Frau, die Gleichberechtigung aller Volksgruppen dieses Riesenreiches, die Religionsfreiheit, das Recht auf Bildung und Universitätsbesuch sowie die Anerkennung der Homosexualität und sogar der Homo-Ehe. Unglaublich, aber wahr.

Dass die Oktoberrevolution im Westen nur als Vorstufe zum Stalinismus gesehen wird, hält Zehetmair in der Diskussion für einen groben Irrtum. Dies sei sie beileibe nicht. Dass Stalin und seine Konsorten sich nach Lenins Tod in den Machtkämpfen der zwanziger Jahre durchsetzten, lag an dem schwer durchschaubaren Machtpoker, aber auch an den Einflüssen zahlreicher Staaten, die das Riesenreich als Spekulationsobjekt wahrnahmen. Hätte die Revolution auch in Deutschland sich behauptet, hätte es einen Austausch Lebensmittel gegen Schwerindustrie zwischen Deutschland und Russland gegeben. "Die Geschichte wäre vielleicht ganz anders verlaufen", mutmaßt Zehetmair.

Und heute? Verstaubt Karl Marx auf dem Dachboden frustrierter Linker? Zehetmair stuft die weltpolitische Lage mit ihrer krassen Fehlverteilung der Reichtümer als hochexplosiv ein. Eben daran war auch das Zarenreich gescheitert.

Die Oktober-Filmtage (Uferpalast, Würzburger Straße 2), gehen diesen Samstag weiter mit "Ich, Daniel Blake" (17.30 Uhr) und "It’s a Free World" (19.30 Uhr) und enden  am Sonntag mit "A Touch of Sin" (14.30 Uhr) sowie "Montags in der Sonne" (17.30 Uhr, mit anschließender Diskussion).

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