Wenn die Erfindung „Peng!“ macht

5.7.2015, 22:30 Uhr
Wenn die Erfindung „Peng!“ macht

© Markus Kohler

Sten Nadolny ist gleich mehrfach mit Fürth verbunden. Hier recherchierte er intensiv für seinen „Ullsteinroman“ und wurde mit dem Jakob-Wassermann-Literaturpreis ausgezeichnet. Vor 160 Jahren ging der 28-jährige Leopold Ullstein an einem Sommertag zum Magistrat von Fürth. Er wollte „förmlich auswandern“, Berlin hieß sein Ziel. Der Rest ist deutsche Verlags- und Unternehmensgeschichte. Sten Nadolny („Die Entdeckung der Langsamkeit“) hat sie erzählt. In seinem 2003 bei – wo sonst? – Ullstein erschienenen Roman, der mit der Vorfreude des neunjährigen Leopold auf die erste Tour des „Adlers“ beginnt.

Wenn die Erfindung „Peng!“ macht

© Markus Kohler

Seinen „Ullsteinroman“, der auf so vielfältige Weise mit Fürth verbunden ist, nahm Sten Nadolny auch an diesem Leseabend zur Hand. Pointiert und ausführlich trug er im klimatisierten kleinen Kufo-Saal vor. Claudia Floritz, Kulturamtschef und „Lesen!“-Leiterin, hatte sich gleich zu Beginn gefreut, dass trotz Rekordhitzewelle die Lesung so begehrt war, dass statt Tischen weitere Stühle aufgestellt und Getränke deshalb mehr oder weniger erfolgreich in der Hand balanciert werden mussten.

Volker Titel, Buchwissenschaftler und Historiker, moderierte den Abend und bekannte, dass er – im Gegensatz zu Leopold Ullstein – von Berlin nach Fürth gezogen ist. Titel betonte, dass in Nadolnys Buch „Begebenheiten auftauchen, die nicht Forschungsstand“ sind: „Wenn man diese Fakten anschließend tatsächlich im Archiv entdeckt, dann kann einem das den Schlaf rauben.“

Ein Kompliment, das der Schriftsteller mit ähnlicher Offenheit klarstellte: „Manchmal erfindet der Autor in seiner Not was dazu, zum Beispiel, um etwas verständlicher zu machen und dann – Peng! – stellt sich heraus, dass das sogar stimmt.“

Überhaupt, so Nadolny, der von Haus aus Historiker ist, pflegt er hier und da seine Freude am „Schabernack“. So einen Fall enthüllte er auf eine Frage von Claudia Floritz hin: „Das Personenverzeichnis mit seinen rund 582 Namen ist so eine kleine Frechheit, ich habe einfach jeden gelistet, der vorkommt – auch fiktive Personen.“ Schließlich kenne er „die Brüder“, die sein Werk kritisch zur Hand nehmen. Fragt sich natürlich, ob möglicherweise der Inhaber von „Nadolnys Weinpalast“ in Berlin zu den frei ersonnenen Mitwirkenden zählt. Nicht erfunden, aber garantiert nicht am Schauplatz der ersten „Adler“- Tour gewesen, ist der kleine Levi Strauß aus Buttenheim, der sich im Roman vor lauter Aufregung in die Hosen macht. „Das musste sein“, freute sich Nadolny über seinen Spaß mit dem späteren Gründer eines Jeans-Imperiums. Schließlich sei er „überzeugter Literat“ und als solcher dürfe er, was dem Historiker verwehrt bleibt.

Sehr liebevoll geht er deshalb auch mit dem Eheglück des Leopold Ullstein zu Werke. Der Arbeitsame, dessen Leben sich wohl vornehmlich im Büro und am Schreibtisch abspielte, habe seine erste Frau Matilda ein wenig vernachlässigt. Kurzerhand verordnet Nadolny den beiden eine Reise nach Portugal und Spanien, was die Beziehung – zumindest im Buch – innig belebt.

Wenn die Erfindung „Peng!“ macht

© Tim Händel

Wie kommt der Literat zum Preis? Wie kommt die Jungfrau zum Kind? Oder noch wunderbarer: Wie kommt ein Gastwirtssohn mit Technik-Faible zur Literatur? Norbert Scheuer hat es vorgemacht.

Wer schreibt, fängt erst mal mit Lesen an. „Warum sollte ich lesen?“, fragt Norbert Scheuer ehrlich erstaunt. „Warum sollte ich in der Eifel lesen, wenn es draußen doch Wälder und Flüsse gibt? Bis ich etwa zwanzig war, hatte ich kaum etwas gelesen außer Mathematik und Physik. Auf die literarische Schiene bin ich erst später geraten.“ Und das kam so: Norbert Scheuer, Jahrgang 1951, hatte erst Elektriker gelernt, danach auf dem zweiten Bildungsweg die Mittlere Reife nachgeholt. Seine Examensarbeit befasste sich mit Atomphysik. „Da tauchten dann philosophische Fragen auf. Aber beim Philosophiestudium merkte ich, dass meine Fragen nicht wirklich beantwortet werden.“

Darüber wären andere angehende Literaten und Sinnsucher verzweifelt. Nicht so Norbert Scheuer. Der bewarb sich als Ingenieur bei der Telekom gerade zu der Zeit, als die Rechenzentren aufkamen, und verdiente sein gutes Einkommen als Systemprogrammierer. Nebenbei schrieb er in seiner Dachkammer Beobachtungen über seinen Wohnort Kall in der Eifel.

Auch Wochenendschreiber gibt es zuhauf, die von einem Brotberuf zehren. Was einen Literaten ausmacht, ist neben der Qualität seiner Schreibe natürlich die Bekanntheit. „Ich habe die Verlagssuche nie forciert“, gesteht Scheuer mit entwaffnender Untertreibung, „ich hatte zuerst Gedichte verfasst und vorgelesen, das kam gut an. Dann ging meine Waschmaschine kaputt, ich brauchte Geld und reichte Gedichte bei einem Literaturwettbewerb ein.“

In der Jury saß der Literat Hans Bender, dem gefielen die Gedichte; er sah sich nach einem Verlag für den hoffnungsvollen Mann um, und als sich keiner fand, publizierte er Scheuers Lyrik kurzerhand bei der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung. Klingt wunderbar? Oder wie ein Kitschroman? Scheuer winkt ab: „Man muss immer beharrlich sein, dann ergibt sich alles von selbst.“

Etwa die Themenfindung. Nachdem Scheuer mehrere Romane verfasst hatte, wollte er einen weiteren Band über Kall nachlegen. Vögel sollten eine besondere Rolle darin spielen. Da entdeckte er in einem Café einen sonderbaren Mann mit einer Schildkröte. Der entpuppte sich als ein traumatisierter Afghanistan-Veteran. Sein Glück findet der Held beim Beobachten von Vögeln. Das Romankonstrukt schaffte es auf die Shortlist des Leipziger Buchpreises

Scheuer rechnet vor: „Jedes Jahr kommen 80 000 belletristische Neuerscheinungen auf den Markt. Davon sind vielleicht 500 relevant. Die 500 haben zufällig die richtigen Verlage und landen auf den Schreibtischen der Kritiker, werden besprochen und wahrgenommen. Da kann man sich schon glücklich schätzen, wenn man beim Leipziger Buchpreis unter die ersten zwanzig kommt.“

 

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