Zum Kugeln und zum Kreiseln

7.7.2018, 16:12 Uhr
Zum Kugeln und zum Kreiseln

© Foto: Bayerisches Staatsballett/Wilfried Hösl

Skulpturen stehen irgendwo herum, schinden Eindruck und sehen mehr oder weniger imposant aus. Ist klar, oder? Und Ballett ist, wenn Tüll rauscht und Männer in Strumpfhosen große Sprünge wagen? Kann man so sagen. Muss man aber nicht.

Oskar Schlemmer hatte wenig Lust auf Grenzen und Gattungen. Stattdessen brachte er schon vor gut hundert Jahren zusammen, was auf den ersten Blick so gar nichts miteinander gemein zu haben scheint. Tanzende Skulpturen, zum Beispiel.

Schlemmer steckte für sein "Triadisches Ballett" Menschen in Kugeln, Scheiben, Zylinder, Drahtrollen, Spiralen. Kunstvolle Figuren, die sich im Raum bewegen, zu Klängen neu definieren konnten. 1922 wurde seine experimentelle Vision uraufgeführt, etwas mehr als ein Jahrzehnt später ächteten die Nationalsozialisten seine Arbeit als "entartet". In Fürth tritt die 2010 gegründete Junior Company aus München beim ersten Fürther Auftritt jetzt mit der Rekonstruktion einer ersten Rekonstruktion jenes inzwischen sagenumwobenen Balletts auf.

Gerhard Bohner hatte 1977 die historische Aufführung anhand erhaltener Bilder und Aufzeichnungen sehr erfolgreich zurück auf die Bühne gebracht. Ivan Liška und Colleen Scott richteten 2014 auf dieser Grundlage eine Neuproduktion ein, die nun im Stadttheater von vielen begeistert aufgenommen, von einigen Besuchern aber auch mit einem vorzeitigen Abbruch des Abends quittiert wurde. Dabei war Ivan Liška beim zweiten Abend sogar zu Beginn vor den Vorhang getreten und hatte mit einer kurzen Einführung sehr charmant um Verständnis geworben. "Wer trippelnde junge Frauen mit Tiaras erwartet, wird heute vielleicht nicht ganz auf seine Kosten kommen."

Grafische Effekte

Stattdessen gab es eben jene Auseinandersetzung mit Oskar Schlemmers nachhaltigem Werk, das gewitzt ist, clownesk in seiner Übertreibung und aufreizend in seiner Kompromisslosigkeit. Die Kostüme (Rekonstruktion und Neufassung: Ulrike Dietrich) spielen mit grafischen Effekten, sind beispiellos und absolut nicht geeignet für allzu raumgreifende Bewegungen – was tatsächlich die Absicht ihres Erfinders war.

Die Tänzer werden beinahe zu Kostümträgern degradiert, ihre Schrittfolgen muten nicht selten roboterhaft an. Sind das überhaupt noch menschliche Wesen? Agieren da nicht programmierte Objekte? Ideen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für Schlemmer noch wie Science-Fiction erscheinen mussten, haben längst einen Anstrich von Machbarkeit bekommen.

Die Klänge, die der aktuellen Produktion unterlegt sind, unterstreichen dieses Gefühl. Hans-Joachim Hespos, der in den Siebzigern von Gerhard Bohner mit der Komposition beauftragt wurde, arbeitet mit viel Schlagwerk, versteigt sich auf Zischen und reines Rauschen. Es ist ein erstaunlich zeitloses Klangbild, das damit über dem Abend liegt und auf sehr organische Art mit den Tänzen zu verschmelzen scheint.

Ein zweiter, wesentlich kürzerer Auftritt bringt zum Abschluss eine Choreografie von Richard Siegal zu den Drei Préludes von George Gershwin auf die Bühne. Drei Männer, eine Frau. Sie tragen Anzüge und Trikot. Alles wie gehabt. Sehr jung, sehr engagiert wird getanzt. Spürbare Hingabe macht dezente Unschärfen wett. Doch sie haben Konkurrenz. Denn im Kopf kugeln noch immer die Kreisel, rotieren die Zylinder.

Bayerisches Junior Ballett München: "Das Triadische Ballett/3 Préludes", Stadttheater. Zum letzten Mal diesen Samstag, 19.30 Uhr. Karten in der FN-Geschäftsstelle (Schwabacher Straße 106, Tel. 2 16 27 77) und an der Theaterkasse.

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