Zwischen Cola und Geranien

30.6.2012, 10:00 Uhr
Zwischen Cola und Geranien

© Johnston

Für Kinder ist Cola ein klebrig-köstliches braunes Getränk. Cola eben. Dort aber, wo Julia und Christoph Wenzel (acht und fünf Jahre alt) mit ihren Freunden schon mal Versteck spielen, mitten in der Gärtnerei ihrer Eltern, gibt es Cola in Form eines Strauchs. Die feinfingrige Pflanze sieht ein wenig aus wie Dill. Zerrieben zwischen den Fingern verströmt sie, tatsächlich, den erwarteten Duft. Gärtnermeister Stefan Wenzel führt das vor und erklärt, mit heißem Wasser überbrüht, lasse sich das Ganze auch trinken. Eine Art Cola light also? Zuckerfrei und pflanzlich? Der 37-Jährige lacht, schüttelt den Kopf. „Naja, es schmeckt halt leicht nach Cola, ganz leicht.“ Seinen Kindern jedenfalls schmeckt’s nicht.

Zwischen Cola und Geranien

© privat

Hier, zwischen Kräutern, Blumen und der großen Vogelvoliere, die zehn Wellensittiche bewohnen, ist Stefan Wenzel groß geworden. Hier hat auch er schon als Bub Verstecken gespielt. Es ist sein Reich: 5000 Quadratmeter, auf denen in Gewächshäusern Pflanzen duften, blühen und gedeihen. Im Familienbesitz ist das Stück Land schon seit über 280 Jahren. Am 19. September 1912 aber beginnt die Geschichte der Gärtnerei. An jenem Tag übernimmt Matthias Schuh, Stefan Wenzels Urgroßvater, den elterlichen Bauernhof. Mit seiner Frau Anna macht er einen Gärtnereibetrieb daraus.

Gewächshäuser gibt es damals nicht, nur Frühbeete, mit Fenstern abgedeckte Holzkästen. Darunter wachsen neben allerlei Gemüse die ersten Zierpflanzen: Löwenmaul und Chrysanthemen. Zum Verkauf wird die Ernte mit einem Leiterwagen zum Fürther Wochenmarkt gekarrt. Der Wagen existiert heute noch. Auf seiner Ladefläche drängeln sich gerade Petunien, ein kleines Blütenmeer, violett und weiß.

Im Lauf der Jahre übergibt eine Generation den Betrieb an die nächste, stets bleibt er in Familienhand. 1946 übernehmen Gertraud und Walter Wenzel, 1976 Jutta und Gerhard Wenzel, 2009 Andrea und Stefan Wenzel. Die 37-jährige Chefin ist gelernte Bankkauffrau, sie hat ihren Job geliebt: „die Zahlen, den Computer, mein Büro“. Der Garten ihrer Eltern in Eberhardshof war für sie nicht mehr als eine Liegewiese. Doch als sie ihren Stefan kennenlernte, war klar: Mit diesem Mann würde sie auch die Gärtnerei heiraten. Andrea Wenzel half mit im Laden, besuchte Kurse, lernte, Sträuße zu binden, nahm sich die Buchführung vor und schaffte sich so nach und nach in die Floristik hinein.

Im Mai herrscht Hochsaison im Betrieb. Zum üblichen Geschäft, zu Pflanz- und Pflegearbeiten, zu Deko und Verkauf kommen Messen und Märkte. 340 Arbeitsstunden hatte Stefan Wenzel im Mai. 340. Mit einer Miene zwischen Belustigung und Seufzen sagt seine Frau: „Ja, und der Betrieb funktioniert halt nur, wenn die ganze Familie mit anpackt.“ Zwar gibt es zwei Angestellte, aber: „Die Pflanzen kennen kein Wochenende.“

Zeitweise, das weiß jeder Gartenbesitzer, gieren sie förmlich nach Wasser. An trockenen Tagen heißt das: „Gießschlauch-Einsatz, sieben bis acht Stunden am Tag.“ Automatisch bewässern die Wenzels nur punktuell. Eine flächendeckende Anlage nachträglich zu installieren, sei schwierig und teuer, erklärt der Chef. Die Anschaffung von Pumpen und Feuchtigkeitsmessern rechne sich, „wenn man 30 Tische voller Geranien anflutet, nicht bei zwei Tischen“.

Auf die Frage, wie gut sie über die Runden kommen, antworten die Eheleute: „Wir können zufrieden sein.“ Klar ist: Es sind weniger die Zierpflanzen, die die Familie ernähren, sondern vor allem die Grab- und Gartenpflege, die Stefan Wenzel seit 2006 auch anbietet. Dienstleistungen wie das Rasenmähen, Heckenschneiden oder die Grabpflege seien gefragt. Nach Wenzels Beobachtung ein wachsender Markt: „Die Leute tendieren dazu, Arbeit abzugeben.“

Um sich gegen die großen Garten-Center zu behaupten und gegen Supermärkte, die ja auch Blumenampeln und Oleanderbüsche anbieten, müsse sich ein kleinerer Betrieb „Nischen suchen“, sagt Stefan Wenzel. Zu seinen Nischen zählt er neben seinem zweiten Standbein den Verkauf von Kräuter-Raritäten wie Erdbeerminze, Zitronenverbene und Coladuftstrauch, und die Überwinterung von Kübelpflanzen gegen Miete. Beim Spaziergang durch die Pflanzenreihen deutet er in ein weitgehend leeres Gewächshaus: das Winterquartier der Palmen aus dem Freibad.

Hätte es die Gärtnerei nicht gegeben, meint Stefan Wenzel am Ende des Rundgangs, wäre er vielleicht Archäologe geworden. „Ich bin wohl“, sagt er, „irgendwie ein erdiger Typ.“ Beim Topfen oder Pikieren, sagt er, trage er fast nie Handschuhe. Seine Finger greifen die Luft, als wollten sie etwas fassen und erspüren. Die Arbeit mit Erde, findet Stefan Wenzel, „die hat so was Ehrliches“.

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