Für den Gutachter ist Zschäpe Mittäterin

23.1.2017, 18:00 Uhr
Für den Gutachter ist Zschäpe Mittäterin

© dpa

Lange haben ihre drei Alt-Verteidiger gegen den Auftritt angekämpft, haben sie Antrag um Antrag gestellt, lange begründet, warum Henning Saß jetzt noch nicht reden dürfe. Sie wollten, dass seine Aussagen auf Band mitgeschnitten, dass sie alternativ stenografiert oder von „Tastschreibern“ erfasst werden.

Henning Saß hat das über sich ergehen lassen. Seit mehr als dreieinhalb Jahren sitzt er schon im Gericht, hat fast alle der bislang 336 Verhandlungstage verfolgt, Zschäpe beobachtet, ihre Körpersprache analysiert und das durchleuchtet, was Zeugen über sie ausgesagt, was sie einem Neonazi in dessen Dortmunder Zelle geschrieben, vor allem aber, was ihre Anwälte in ihrem Namen verlesen haben.

Keine Mitläuferin?

Seinem Gutachten kommt zentrale Bedeutung zu, nicht nur, weil Saß die Schuldfähigkeit Zschäpes beurteilen soll. Er analysiert auch ihre Persönlichkeit – und das lässt Rückschlüsse darauf zu, wie glaubwürdig ihre Aussagen vor Gericht sind. Saß, das wird bald klar, widerspricht ihr in zentralen Punkten. Für ihn geht es „eher nicht“, wie er es zurückhaltend formulieren wird, um „ein widerwilliges Mitläufertum aus emotionaler Abhängigkeit“. So hatten es Zschäpes neue Anwälte in mehreren schriftlich vorbereiteten Aussagen dargelegt.

Von „blinder Liebe“ zu Uwe Böhnhardt hatten sie berichtet, davon, dass sie stets erst hinterher von den Morden erfahren, sie abgelehnt, verurteilt habe, aber weder finanziell noch emotional sich von den beiden Uwes habe trennen können, selbst dann nicht, als Böhnhardt sie geschlagen habe. Das Bild, das sie in ihrem Namen von ihr zeichneten war das einer verliebten jungen Frau, abhängig von den beiden Uwes, wehrlos ihnen gegenüber und weitgehend entideologisiert.

Für Henning Saß ist das Bild nicht stimmig. Blinde Liebe, sagt er, sei doch „recht floskelhaft“. Weder halte so etwas über Jahrzehnte, noch habe sie das überzeugend dargelegt. „Recht kühl“ habe sie die Beziehungen beschrieben, nicht „in tieferer oder gefühlsbetonter Weise“. Saß hebt auch ab auf jene Familien, die das mutmaßliche NSU-Trio in ihren Urlauben erlebt haben. Als Team seien sie erschienen, zitiert Saß die Zeugen, als „kontaktfreudig, freundlich und unbefangen“. Überwogen habe das Bild „eines spannungsfreien, heiteren, animierten Urlaubslebens.“ Auffälligkeiten? Fehlanzeige.

In jenen Jahren aber, hat Zschäpe über ihre Anwälte mitgeteilt, sei ihr Verhältnis zu den Uwes tief gestört gewesen, der neun Morde an Migranten überwiegend türkischer Herkunft wegen. Sie habe stets erst nach den Taten davon erfahren, hatten ihre Anwälte vorgelesen, sei entsetzt gewesen, auf Distanz gegangen, aber nicht von ihnen losgekommen.

Zu unpersönlich

Der Gutachter bezweifelt das. Immer wieder vergleicht er ihre schriftlichen Aussagen, die sie „nach langem Schweigen“ vorgelegt habe, mit den Aussagen von Zeugen. Er könne den Wahrheitsgehalt der Zschäpe-Zitate „nicht einschätzen“, sagt er. „Für einen psychiatrischen Leser wirken die Formulierungen aber recht formal und unpersönlich.“ Stets stehe „ganz im Vordergrund die eigene Situation, die Kritik an den Partnern.“ Zschäpe schiebe „die Verantwortung nach außen“ und beschreibe „sorgfältig jene Umstände, die entlastend wären, wenn man sie zugrunde legt.“

Saß geht noch einen Schritt weiter. Für ihn „entstand dagegen aus der Lektüre weniger der Eindruck einer authentischen Auseinandersetzung mit den Geschehnissen, mit den Opfern und den Folgen für das Leben ihrer Angehörigen.“ Das setzt sich nach seinen Beobachtungen fort in vielen Lebensbereichen. Der Forensiker hat mitverfolgt, was die Nachbarn der Fluchtwohnungen berichtet hatten, wie sie Beate Zschäpe, seltener Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erlebt haben. Die beiden, so haben es die Zeugen geschildert, waren häufig unterwegs; wenn, dann hatte Beate Zschäpe den Kontakt zur Nachbarschaft gehalten.

Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft war vor allem sie es, die die Legende aufrecht erhalten hat, die dafür sorgte, dass die Tarnung der drei im Untergrund nicht aufgeflogen ist – was ihre Mittäterschaft und damit den Mordvorwurf begründen soll. Saß bestätigt das in dieser Schärfe nicht. Doch er liefert Hinweise, die für das Gericht entscheidend sein könnten bei seinem Urteil.

Denn Saß beschreibt Zschäpes Rolle als aktiv. Sie habe „ein freundliches, aber auch vorsichtig zurückhaltendes und persönliche Verwicklungen vermeidendes Verhalten“ gezeigt und „zumeist den Kontakt gepflegt“. Vor allem aber hätten die drei „mit größter Konsequenz und ohne Patzer die für ein Leben unter falscher Identität notwendigen Gebote der Heimlichkeit, des Verbergens, des Verschleierns und des Täuschens“ befolgt. Zwischen den Zeilen schimmert durch, dass Saß glaubt, Zschäpe folge diesem Verhaltensmuster bis heute.

Er sieht bei ihr „Hinweise für egozentrische, wenig emphatische und externalisierende Züge“, nennt sie durchschnittlich intelligent, dissozial. Alle Zeugen, sagt er, hätten sie als gleichberechtigt in der Gruppe beschrieben und nicht als untergeordnet, wie sie es selbst tat. Für Saß, das hat er in seinem vorläufigen Gutachten durchblicken lassen, ist Letzteres die unglaubwürdigere Variante.

Kampf gegen Gutachten

Kein Wunder also, das Zschäpes Altverteidiger mit allen Tricks versuchen, das Gutachten zu entkräften. Sie wollen ein Gegengutachten erstellen lassen; doch ihr Psychiater hat keine Zeit für den Prozess. Sie zweifeln das Vorgehen von Saß an, der als Kapazität auf seinem Gebiet gilt. Sie suchen einen Hebel, wie sie sein Gutachten entwerten können. Denn sie sehen vor allem eines: Die späten Aussagen Zschäpes, erarbeitet mit ihren beiden neuen Verteidigern und gegen das Schweigegebot der Altverteidiger, passen Saß ins Konzept. Und am Ende womöglich auch dem Gericht in die Urteilsbegründung.