Der Gunzenhäuser Blasturm: Ein 400 Jahre alter Zeitzeuge wacht über die Altmühlstadt

18.8.2018, 07:34 Uhr
Von der Türmerwohnung aus hat man einen wunderbaren Ausblick über die Dächer der Altmühlstadt, hier in Richtung Stadtkirche und Färberturm.

© Tina Ellinger Von der Türmerwohnung aus hat man einen wunderbaren Ausblick über die Dächer der Altmühlstadt, hier in Richtung Stadtkirche und Färberturm.

Bis vor kurzem stand die Türe des Blasturms für Besucher offen, doch wegen altersbedingter Bauschäden am Treppenaufgang ist ein Aufgang momentan nicht möglich. Stadtarchivar Werner Mühlhäußer macht für uns eine Ausnahme: Über das benachbarte – leider derzeit ebenfalls geschlossene – Museum für Vor- und Frühgeschichte gelangen wir ins Innere dieses steinernen Zeugen der Gunzenhäuser Stadtgeschichte. Unser Weg führt über den alten Wehrgang, vorbei an zugemauerten Schießscharten, schließlich war der Blasturm Teil der Stadtbefestigung, einer typischen Vier-Tore-Anlage. "Urspünglich", erklärt Werner Mühlhäußer, "befand sich in jeder Himmelsrichtung ein Tor als direkter Zugang zum Bereich innerhalb der Stadtmauer. So gab es im Norden das Spitaltörlein. Es gewährleistete die Verbindung zwischen der Kernstadt und der sogenannten Oberen Vorstadt (Spitalstraße mit Spital, Osianderstraße, Gerberstraße, Bahnhofstraße, Eidam-Platz). Aufgrund seiner Größe konnte es nur von Fußgängern genutzt werden, ein Durchfahren mit Kutschen und Karren war nicht möglich.

Im Süden, in Höhe des heutigen Gasthauses Lehner, stand das Weißenburger Tor (auch Unteres Tor genannt). Es wurde 1827 abgerissen. Unmittelbar vor der Altmühlbrücke im Westen befand sich beim heutigen Gasthaus "Zur Altmühlbrücke" (Wons) der Brucktorturm. Er wurde 1866 abgerissen. Zwar hat es wohl zu dieser Zeit schon Bestrebungen gegeben, historische Gebäude zu erhalten, aber dem Argument des zunehmenden Verkehrs in einer aufstrebenden Stadt konnte man auf Dauer nicht standhalten.

Bedeutende Handelsroute

Geblieben ist den Gunzenhäusern daher nur der Blasturm im Westen, erstmals 1466 als Neues Tor erwähnt. Diese Bezeichnung weist laut Mühlhäußer darauf hin, dass das Tor um diese Zeit als Neubau errichtet worden ist. Sehr wahrscheinlich hat an dieser Stelle bereits ein Vorgängertor existiert, da die äußerst wichtige, von Handel und Heer stark frequentierte Straßenführung Nürnberg-Nördlingen-Ulm von Norden kommend auf Gunzenhausen hinführte, durch den Turmbau in die Stadt gelangte und von dort aus nach Süden Richtung Weißenburg oder nach Westen Richtung Nördlingen weiterging.

Innerstädtisch erreichte man nach dem Passieren des Tores die Schmiedgasse (heute Rathausstraße), quasi die Wohngegend der "Oberen Gesellschaft" von Gunzenhausen mit Häusern von Adeligen und Ratsmitgliedern. 1482 tauchen erstmals Besoldungszahlungen an den Türmer in den städtischen Rechnungsbänden auf. Auch wenn der Neue Torturm nicht explizit als Arbeitsplatz für einen der wichtigsten kommunalen Beschäftigten genannt wird, ist davon auszugehen, dass der Turm seit jeher vom Türmer bewohnt war.

1544 und 1545 finden sich erste Belege für die Bezeichnungen "Ploßthurn" beziehungsweise "Plaßthurm", also jenen Namen, unter dem das Gebäude bis auf den heutigen Tag bekannt ist. Zurückzuführen ist das auf die Tatsache, dass der Türmer von dort aus an besonderen Tagen Kirchenlieder blies und sicherlich auch beim Einzug des Markgrafen und anderer hochgestellter Besucher Gunzenhausens, Festmusik erklingen ließ.

Wächter und Musikant

Der Türmer war in Personalunion auch Stadtmusikant, also ein professioneller Musiker. Er musste sowohl Wachdienst auf dem Turm leisten, nach Feuer und in unruhigen Zeiten nach heranziehenden feindlichen Soldaten Ausschau halten. Sobald er einen Brand bemerkte, musste er bei Tag eine Fahne, nachts eine Laterne zu der Turmseite aushängen, in deren Richtung das Feuer ausgebrochen war. Außerdem hatte er alle halbe Stunde als Zeichen der Wachsamkeit mit der Pfeife nach allen Himmelsrichtungen Signal zu geben. So ist es in der 1827 erlassenen Feuerlöschordnung der Stadt Gunzenhausen nachzulesen. 1809 musste Stadttürmer Johann Georg Fürst eine Strafe von fünf Gulden bezahlen, weil er einen Brand in Theilenhofen nicht bemerkt hatte.

Zudem war der Türmer als Musikant für die Ausgestaltung kirchlicher und weltlicher Festivitäten zuständig und hatte die musikalische Ausbildung von Auswärtigen, aber auch der Gunzenhäuser Jugend zu erledigen. Bis ins 19. Jahrhundert war es Brauch, dass der Türmer anlässlich einer Kindstaufe vom Turm herab musizierte. 1846 erhielt die Stadtverwaltung einen Beschwerdebrief des damaligen Pfarrers, der sich bitterlich darüber beklagte, "daß bei der Taufe eines unehelichen Kindes von dem Thurme herab Musik gemacht wurde. (...) Man ersucht daher einen Stadtmagistrat, solchen Unfug ein für alle Male abzustellen." Tatsächlich ermahnte der Stadtrat den Türmer Möbius bei Androhung einer Geldbuße "künftig bei Taufen unehelicher Kinder das Blasen vom Thurm herab zu unterlassen".

Turmneubau 1603

Das jahrhundertelang in Personalunion ausgeübte Amt wird durch Stadtmagistratsbeschluss 1860 voneinander getrennt und Ludwig Fürst erhielt die Berufung zum ersten hauptamtlichen Stadtmusikmeister Gunzenhausens. Die lang gepflegte Musiktradition bewahrt Ende der 1950er Jahre bis Ende der 1960er Jahre der heute noch bekannte Sepp Klier, der mit seiner Kapelle ein Turmzimmer als Übungsraum nutzte.

In der bisherigen Heimatliteratur wird 1578 als Jahr des Einsturzes des Blasturms angegeben. Dafür gibt es, wie der Stadtarchivar erläutert, jedoch keinerlei schriftlichen Nachweis. Zudem erscheint es mehr als fraglich, dass eine dadurch entstandene Lücke in der Stadtmauer nahezu 30 Jahre nicht geschlossen worden sein soll.

Sicher ist allerdings, dass die Stadtväter 1603 einen Turmneubau beabsichtigten und auch durchführen ließen. Für die damals enorme Summe von 645 Gulden (etwa 26000 Euro) entstand unser heutiger Blasturm. In der Bürgermeisteramtsrechnung für dieses Jahr führt eine eigene Kategorie "Außgeben zum Neuen Thurn" alle finanziellen Aufwendungen dieser kommunalen Baumaßnahme auf. Der verantwortliche Maurermeister erhielt als Entlohnung 85 Gulden (zirka 3400 Euro).

Ein "welscher Maurer"

Eine weitere Notiz in der Jahresrechnung liefert ein interessantes Detail zur Baugeschichte: Der städtische Rat verhandelte mit einem "welschen Maurer" zwecks der Bauausführung und hielt in diesem Zusammenhang ein Festmahl ab. Das Adjektiv "welsch" steht in diesem Fall für einen besonderen Handwerker, der wohl aus der französischen beziehungsweise italienischen Region stammte. Heute würde man wohl von einem "Stararchitekten" sprechen. Schon wenige Jahre später, während des Dreißigjährigen Kriegs, wurde 1631/1632 auch der Blasturm in Mitleidenschaft gezogen, aber schnell wieder instand gesetzt.

1699 gehen auf Ratsbeschluss die beiden auf dem Turm aufgestellten "Stücklein" als Geschenk an Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach. Dabei handelt es sich um Arkebusen beziehungsweise Hakenbüchsen, große Vorderladergewehre, die zur Verteidigung in luftiger Höhe installiert waren.

Eine umfassende Sanierung für 4000 Reichsmark erhielt der Blasturm 1933. Die zwei markgräflichen Wappen, die seit 1603 den Turm von beiden Torseiten schmücken, wurden zur Stadtausgangsseite durch Stadtwappen und Frankenwappen ergänzt. Ebenfalls aus der Nazizeit stammt die Zunftstube, die als Rückbesinnung an vergangene deutsche Handwerkerherrlichkeit im ersten Stockwerk des Blasturms 1934 eingerichtet worden ist. Dort fanden sich die Gunzenhäuser Innungsmeister in den Folgejahren zu ihren Sitzungen zusammen.

Der letzte Türmer, der seinen Dienst auf dem Blasturm versah, war Friedrich Dorner. Nach seinem Tod beschloss der Stadtrat in seiner Sitzung am 14. Juni 1951, die Stelle nicht mehr zu besetzen. Bis heute erhalten hat sich jedoch die Tradition des Turmblasens zu Neujahr durch den Posaunenchor Gunzenhausen.

Und dessen Mitglieder wollen auch künftig das neue Jahr von der Stube der Türmerwohnung aus mit ihren Liedern begrüßen – in luftiger Höhe und mit einem wunderbaren Ausblick weit über die Altmühlstadt.

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