Angesehen, aber nicht attraktiv genug?

24.10.2012, 16:09 Uhr
Angesehen, aber nicht attraktiv genug?

© Patrick Shaw

Mehr als 9000 Arbeitnehmer sind im Gebiet der Weißenburger Arbeitsagentur in Gesundheits- und Sozialberufen tätig. Im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen sind es rund 4800 und damit jeder sechste Beschäftigte, Tendenz steigend. Doch trotz der guten Zukunftsaussichten der Branche und obwohl in der Region immer noch auf jeden „Alten“ statistisch zwei Junge kommen, gibt es zu wenig Pflegekräfte. Wer nicht selbst ausbilde, werde zunehmend Probleme bekommen, prophezeite Agentur-Geschäftsführer Reinhard Flöter. Dabei seien genug Jugendliche vorhanden. Woran liegt es also?
Die mangelnde Attraktivität des Berufs stand bei den anschließenden Beiträgen im Mittelpunkt. Denn laut Arbeitsvermittlerin Angelika Süßmuth und Dorothea Eidam, Leiterin der Altenpflegeschule auf der Wülzburg, ist zum Beispiel die Bezahlung lange nicht so schlecht, wie sie oft wahrgenommen werde. Nach der dreijährigen Ausbildung verdiene ein Altenpfleger monatlich etwa 2300 Euro brutto, nach sechs Jahren Berufserfahrung 2600 Euro. Bei einem Pflegehelfer seien es nach der einjährigen Lehrzeit knapp 1750 Euro, sechs Jahre später gut 1900 Euro.
„Berufswunsch geht gegen null“
Auch die vermeintlich unangenehmen Arbeitszeiten seien beispiels­weise bei der Polizei oder im industriellen Dreischichtbetrieb ebenfalls gang und gäbe, ergänzte der Weißenburger Awo-Pflegeheimsleiter Willy Bergdolt. Dennoch gehe „der Berufswunsch Altenpflege an den Schulen gegen null“. Denn ein Altenpfleger sei heute nicht mehr nur „ein einfacher Pfleger“, sondern müsse „kommunikativ und intuitiv sein, die Dokumentation bewältigen und einen Schichtbetrieb organisieren können“. Diese Kompetenz werde „zu wenig anerkannt“.
Außerdem würden „viele gut qualifizierte Pfleger abgeworben“, warnte Gunzenhausens Bürgermeister Joachim Federschmidt. Das habe er selbst unter anderem in Südtirol erfahren, wo deutsche Altenpfleger gern angestellt würden. Umgekehrt sei es hierzulande aber schwierig, zum Beispiel junge Muslime für den Pflegeberuf zu gewinnen, waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Dies sei zum einen in der Kultur und Religion begründet, zum anderen am fehlenden Wissen über deutsche Geschichte und Traditionen, mit denen die Pfleger im Kontakt mit alten Menschen täglich konfrontiert würden.
„Den jungen Leuten die Chancen und nicht nur die Belastungen des Berufs zeigen“ will Landrat Gerhard Wägemann. Er rief ambulante und stationäre Einrichtungen, Seniorenbeiräte und Bürgermeister auf, an einem Strang zu ziehen, um den Nachwuchs „zu informieren, zu interessieren und in der Region zu halten“. In der Öffentlichkeitsarbeit sowie beim Austausch von Material und sogar Bewerbungsunterlagen tun dies viele Pflegedienstleister im Landkreis laut Angelika Süßmuth bereits.
„Eine brutale Marktwirtschaft“
Wenn man die Wirtschaft frage, sei die Lösung des Pflegenotstands einfach, meinte Bezirkstagspräsident Richard Bartsch provokativ: „Arbeitszeiten rauf und Kräfte aus dem Ausland holen.“ Die Träger der Einrichtungen würden dagegen

mehr Geld von den Kassen fordern, und die wiederum würden von den Bürgern finanziert. „Die Altenpflege ist seit 20 Jahren eine brutale Marktwirtschaft“, bedauerte der Bezirkstagschef.
An den Trägern übte Bartsch durchaus harsche Kritik: Hofiert von den Kommunen, wo „in den letzten Jahren alle an den Heimen verdient haben“, hätten die Betreiber „Häuser gebaut, Autos angeschafft und Geld nicht selten sachfremd verwendet. Um das Personal hat sich aber keiner Gedanken gemacht.“ Er sehe die Zukunft der Pflege mittlerweile „in kleinen, dezentralen Einrichtungen“ sowie „mehr im Organisieren und Erkennen von Defiziten, als in der Vollzeitpflege“.
Dem widersprach Diakonie-Altenhilfeleiter Reinhard Brandt. Die von der Regierung ausgegebene Prämisse „ambulant vor stationär“ nannte er einen „Popanz“. Zum einen sei die stationäre Pflege nach wie vor finanziell besser ausgestattet als die ambulante; zum anderen gehe es im stationären Bereich heute meist um eine „Finalpflege“ von selten länger als zwei Jahren. Diese kurze, aber aufwendige Betreuung leiste ein Heim gerade auf dem Land mit weiten Anfahrtstrecken weit billiger als ambulante Dienste. Bei der Debatte um die Pflegekosten werde zudem übersehen, dass die Heime auch große Arbeitgeber und Steuerzahler seien.
Plätze im Landkreis reichen
Einen Überblick über die Situation im Landkreis gab schließlich Sachgebietsleiter Sebastian Münch. Ambulant versorgen hier derzeit 13 Pflegedienste knapp 1800 Personen, stationär sind rund 970 der 1016 Heimplätze ständig belegt. Dazu kommen 27 Kurzzeit- und 37 Tagespflegeplätze.
Für die nächsten 15 Jahre prognostizierte Münch einen Anstieg der Zahl der über 80-Jährigen von 5000 auf rund 7100. Auffällig in der Statistik sei aber auch der mit 28 Prozent der Leistungsempfänger im Vergleich zu Bezirk und Freistaat hohe Anteil an ambulant Betreuten. Zusammen mit den von Angehörigen Gepflegten ließen sich sieben von zehn Bürgern bei Bedürftigkeit zu Hause versorgen. Deshalb gebe es im Landkreis „bis Mitte der 2020er-Jahre genug Pflegeplätze“, schloss Münch. „Das heißt aber nicht, dass auch genug Personal da ist.“

Keine Kommentare