Charlotte Knobloch sprach in Gunzenhausen

21.3.2019, 06:23 Uhr
Charlotte Knobloch sprach in Gunzenhausen

© Wolfgang Dressler

Die Verleihung des städtischen Kulturpreises sah einen Ehrengast, der in ganz Deutschland bekannt ist: Charlotte Knobloch aus München. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland begnügte sich nicht damit, die beiden Preisträger Franz Müller und Emmi Hetzner zu würdigen, sondern sie ging allgemein auf die Situation der Juden in Deutschland ein. Deshalb war die Festrede eine sehr ernste Angelegenheit, bei der tiefe Besorgnis durchklang.

"Missgunst und Hass" hätten sich in den letzten Jahren ausgebreitet, der Antisemitismus nehme zu. Am rechten Rand habe sich eine neue Partei etabliert, in der gesellschaftlichen Debatte sei eine Verrohung festzustellen. Diese gefährliche Denkweise zeige sich in Parlamenten, Medien wie auch im eigenen Freundeskreis. Man dürfe und solle die Gefahr nicht übertreiben, doch es bleibe dabei, dass sich mehr und mehr jüdische Bürger große Sorgen machten. Und die Kontrollmechanismen des Staates funktionierten offensichtlich nicht mehr so gut wie früher, befand Knobloch, die seit 1985 als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern amtiert — und mit Personenschutz aus der Landeshauptstadt gekommen war.

Ihr Bezug zur hiesigen Region ist eng. Als kleines Mädchen verbrachte sie ab 1942 einige Jahre in Arberg, wo sie als angebliche uneheliche Tochter von Kreszentia Hummel (einer ehemaligen Hausangestellten ihres Onkels) der ansonsten sicheren Deportation entging. Die kleine Charlotte überlebte so den Holocaust. An die Zeit in Franken kann sie sich noch lebhaft erinnern. Sie war vom großbürgerlichen Haus in München auf einen Bauernhof in der Provinz verpflanzt worden, sie musste die Christin spielen, und Angst war ihr ständiger Begleiter. Sie hatte keinen Menschen, mit dem sie reden konnte, nur den Tieren erzählte sie die Wahrheit. In Gunzenhausen nun bekundete sie Dankbarkeit und Bewunderung für ihre Retterin Kreszentia Hummel. Diese wurde vor zwei Jahren von israelitischer Seite posthum als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet.

Bei Kriegsende 1945 und noch viele Jahre danach konnte sich niemand vorstellen, dass es nochmals jüdisches Leben in Deutschland geben würde. Charlotte Knobloch und ihr Vater wollten weg, doch es ergab sich nie die rechte Gelegenheit. So blieben sie, und nach und nach fassten sie Vertrauen in die junge Bundesrepublik, die sich das "Nie wieder!" als Grundelement auf die Fahnen geschrieben hatte. Doch erst mit der Eröffnung der neuen Hauptsynagoge in München 2006 packte Charlotte Knobloch sinnbildlich die gepackten Koffer aus, auf denen sie jahrzehntelang saß.

Die Freude und Zuversicht von damals sind mittlerweile getrübt. Das Vertrauen sei gefährdet, ja bei vielen sogar schon so gut wie verloren, sagte Knobloch. Die Unsicherheit in den jüdischen Gemeinden nehme zu, angesichts der Anzeichen einer gesellschaftlichen Verschlechterung und eines anderen Klimas. Es sei zudem ein Mangel an Empathie festzustellen, und das Gefühl, mit seinen Sorgen alleine zu stehen, wachse. Da müsse man daran denken, wie und warum das Experiment der Weimarer Republik scheiterte. Sie wisse noch um die bestürzten Mienen von Vater und Großmutter angesichts des immer mächtiger werdenden Nationalsozialismus.

Lokales und Persönliches

Knobloch forderte "Mut, das Richtige zu tun". Kreszentia Hummel habe ihn bewiesen. Und hier und heute setzte die Verleihung des Kulturpreises das richtige Signal zur genau richtigen Zeit. Emmi Hetzner und Franz Müller hätten mit ihrem Projekt ein einzigartiges, umfassendes Bild des jüdischen Lebens in Gunzenhausen geschaffen. Sie hätten die lokale Ebene und die persönlichen Elemente zusammengebracht, auf diese Weise gelinge Erinnerungsarbeit am besten. "Die Häuser, an denen man heute jeden Tag vorbeikommt, sind genau die, in denen früher jüdische Mitbürger ein und aus gingen." Diese Verbindung habe das Schulprojekt erreicht.

Sie verstehe sich selbst als stolze Bürgerin dieses Staates, und dieser feiere in wenigen Wochen Jubiläum — am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet. Die Bundesrepublik und ihre Geschichte stünden für Frieden, Sicherheit, Freiheit und Wohlstand. Politik und Gesellschaft basierten auf Demokratie, Offenheit und Toleranz, doch genau diese Einheit erscheine bedroht. Es gelte, sich gemeinschaftlich gegen die neuen, gefährlichen Strömungen zur Wehr zu setzen, das Vertrauen in die Demokratie zu bewahren und wenn nötig wiederherzustellen. "Damit aus dem ,Nie wieder!‘ nicht ein ,Jetzt wieder!‘ wird", betonte Knobloch.

Demokratie lebe von der Freiheit der Gedanken, Toleranz halte dieses Gebäude zusammen, und so müsse es bleiben.

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