Dabei sein war alles

24.8.2012, 14:10 Uhr
Dabei sein war alles

Dass William Harrison-Zehlein die nach 1908 und 1948 dritten olympischen Spiele in London mit mehr als 10 000 Athleten aus rund 200 Nationen mit 302 Entscheidungen in 26 Sportarten nicht nur live miterleben durfte, sondern dafür auch noch entlohnt wurde, hat er seinen englischen Wurzeln und zahlreichen Besuchen auf der Insel zu verdanken. Vater Chris stammt aus Liverpool. Der gebürtige Pegnitzer kam als Neunjähriger nach Ursheim, wo Mutter Ruth seitdem Pfarrerin ist.
Nach dem Abitur am Oettinger Albrecht-Ernst-Gynasium studierte William in der walisischen Hauptstadt Cardiff Journalistik, Film- und Medienwissenschaften. Für den „Bachelor“ absolvierte er im Sommer 2011 auch ein Praktikum beim ZDF. Als wenige Wochen vor den Olympischen Spielen von der Sportredaktion auf dem Mainzer Lerchenberg die Anfrage kam, ob er in London nicht ein Kamerateam begleiten und bei Übersetzungsarbeiten unterstützen wolle, musste nicht zweimal überlegt werden.
Bei der Besichtigungswoche vor den Spielen fiel William als erstes der riesige Sicherheitsaufwand auf, was er in seinem Olympia-Tagebuch mit „Mega Militär-Kontrolle“ und „komm mir vor wie im Gazastreifen“ festhielt. Beeindruckt war er unter anderem auch vom „Aquatics Center“, in dem die deutschen Schwimmer später komplett baden gingen und an dem mit Nicolas Maurer auch ein Polsinger mitgearbeitet hat – für die Ostheimer Schreinerei Knoll.
Nach und nach tauchten in London auch die ZDF-Moderatoren wie zum Beispiel die sechsfache Schwimm-Olympiasiegerin Kristin Otto (Seoul 1988) und Chefreporter Wolf-Dieter Poschmann auf. Und schon bald war William mit „Leuten per Du, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt“.
Zusammen mit einem anderen Produktionsassistenten bewohnte der Ursheimer ein „schönes Appartment in toller Lage“. Nicht weit entfernt vom „Exhibition Centre London“, wo Boxen, Judo, Taekwondo, Tischtennis, Fechten, Ringen und Gewichtheben stattfanden. In der „Excel-Halle“ wurde auch Matthias Steiner von einer 196 Kilogramm schweren Hantel zu Boden gestreckt. Nur zwei Tage nach dem zwar spektakulären, aber folgen­losen Unfall feuerte der Gewichtheber die deutschen Beach-volleyballer an. Das Finale auf dem „Horse Guards Parade“ war

nicht nur der Goldmedaillen für Julius Brink und Jonas Reckermannn, sondern vor allem der tollen Stadionkulisse mit 15000 begeisterten Zuschauern wegen das „absolute Highlight“. Noch heute bekommt William glänzende Augen, wenn er von dem unvergesslichen Abend erzählt – auch wenn die spontane Party im „Princess of Wales“ wegen der Sperrstunde ziemlich abrupt beendet werden musste.
Erster Höhepunkt war natürlich der Gold-Ritt von Michael Jung an seinem 30. Geburtstag vor der „Royal Box“. Im „Greenwich Park“ nur zwei Reihen hinter Prinz William und Kate saß William aus dem Hahnenkamm, der am Abend im „Deutschen Haus“ seinen 23. Geburtstag nachfeierte. Im alten Hafenmuseum (Docklands) nur einen Steinwurf von „MS Deutschland“ entfernt saßen auch Lothar Matthäus mit seiner Neuen, Felix Neureuther und Boris Becker – obwohl sie eigentlich gar nicht eingeladen waren.
Riesig gefreut hat sich der frischgebackene 23-Jährige über die ZDF-Geburtstagskarte. Unterschrieben natürlich auch von Armin Vater und Jonas Heil. Mit dem Kameramann und dem Tonassistenten hat sich William in den drei Wochen London nicht nur hervorragend verstanden, sondern auch unglaublich viel erlebt und sogar Sporthelden früherer Tage gesehen. So lief ihm zum Beispiel bei einer der zahlreichen Sicherheitskontrollen auf dem Olympiagelände das amerikanische Tennisidol John McEnroe über den Weg. Und bei der Leichtathletik plauderte er mit der englischen Fußballlegende Gary Lineker. Zwischendurch fotografierte er von der Pressetribüne aus Usain Bolt in seiner typischen Siegerpose.

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Noch mehr als das 100-Meter-Finale im „Olympic Stadium“begeisterten aber die 45 Minuten, in denen nacheinander die Siebenkämpferin Jessica Ennis, der Weitspringer Greg Rutherford und 10 000-Meter-Läufer Mo Farah Gold gewannen und nach dem Team-GB-Triple nicht nur das Stadion, sondern ganz Großbritannien aus dem Häuschen war.
Die unglaublich tolle Stimmung in der ganzen Stadt und das für britische Verhältnisse traumhafte Olympiawetter erleichterten natürlich auch die Arbeit, für die ihn schließlich das ZDF engagiert hatte. Nach „mindestens 40 bis 50 England-Aufenthalten“ mit dem Linksverkehr bestens vertraut, musste er seine Kollegen auch durch London chauffieren. Fast täglich ging es ins „International Broadcast Centre/Main Press Centre“ (IBC/MPC), von wo aus etwa 20 000 Medienleute rund um die Uhr weltweit circa vier Millarden Menschen über die „Olympischen Spiele 2012“ auf dem Laufenden hielten.

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Schon eine Woche vor Beginn der Spiele in London angekommen, durfte William sogar an einer Probe zur Eröffnungsfeier besichtigen. Diese war eine der wenigen Veranstaltungen, für die es wegen des völlig ausgeschöpften Kontingents keine Karten gab. Doch dafür gab es reichlich Entschädigung, wie zum Beispiel das Basketball-Halbfinale zwischen Amerika und Argentinien mit den US-Stars wie Kobe Bryant oder LeBron James. Oder das Hockeyfinale, in dem die deutschen Herren mit dem 2:1 gegen Erzfeind Holland die elfte und letzte Goldmedaille für Deutschland holten und nach Peking erneut triumphierten.
„Hochinteressant und spannend“ war für William auch die kurzfristig einberufene Pressekonferenz wegen der Ruderin Nadja Drygalla: „Nach einem Anruf mussten wir schon um 8 Uhr im IBC/MPC sein, obwohl wir eigentlich erst um 11 Uhr loslegen sollten“. Die 23-jährige Rostockerin war erst nach einem Gespräch mit der deutschen Teamleitung über ihre Beziehung zu einem früheren NPD-Landtagskandidaten kurz zuvor von den Olympischen Spielen abgereist, hatte sich aber zwei Tage später öffentlich deutlich von der rechten Szene distanziert.
Das tolle Flair im „IBC/MPC“ und das Aufeinandertreffen mit Journalisten aus Deutschland und aller Welt war für William nicht nur eine beeindruckende Erfahrung, sondern auch eine Ermutigung, weiter zu machen. Obwohl er weiß, dass er beruflich wohl nie wieder etwas so aufsaugen und genießen kann wie London 2012, wo für ihn das „Dabei sein alles war“. Nach „drei Wochen in einer anderen Welt“ bewirbt sich der Ursheimer momentan für ein Journalistik-Master-Studium und hofft, dass er schon bald in irgendeinem deutschen Hörsaal in der ersten Reihe sitzt.

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