Freispruch für zwei Gunzenhäuser

12.11.2018, 06:06 Uhr
Freispruch für zwei Gunzenhäuser

© Arne Dedert/dpa

Das Amtsgericht Ansbach hatte die beiden vor einem Jahr zu 15 Monate Haft mit Bewährung beziehungsweise zu 18 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Jetzt urteilte das Landgericht, und das Verfahren endete zur Überraschung und Freude der Angeklagten mit einer Einstellung und Freispruch.

Rückblick: Kirchweih Gunzenhausen 2016. Ein lauer Spätsommerabend, buntes Treiben, wohin das Auge schaut. Das Festzelt ist gut gefüllt, die Stimmung prächtig, die Kellnerinnen kommen kaum nach und wuchten eine Maß nach der anderen an die Tische. Wer rauchen will, muss nach draußen ins "Bierdorf". An Stehtischen können die Krüge abgestellt werden. Auf einmal Tumult, laute Stimmen, ein Mann geht zu Boden, eine Frau hockt auf ihm, andere kommen hinzu, versuchen zu schlichten. Tritte, Faustschläge, die Security wird gerufen, Rettungswagen, Polizei eilen heran. Der Verletzte wird ins Klinikum Altmühlfranken am Reutberg gebracht. Polizeibeamte nehmen Personalien auf, verhören Zeugen.

Nach einem Jahr brachte die zuständige Staatsanwaltschaft Ansbach den Fall vor das Amtsgericht. Am 12. September 2017 fällte das Gericht die Urteile, wie sie oben bereits erwähnt wurden. Die Anwälte der beiden Angeklagten, Dr. Mark-Alexander Grimme und Dr. Detlev Justen, beide aus Gunzenhausen, gingen in Berufung. Ein weiteres Jahr verging. Jetzt trafen sich fast alle Protagonisten von damals wieder, diesmal eine Etage höher. Das Landgericht nahm sich der Kirchweihschlägerei mit ihren Folgen an und versuchte unter der Leitung des Vorsitzenden Richters Matthias Soldner, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.

Ein weiterer Zeuge sollte Licht ins Dunkel bringen, obwohl das so eine Sache ist, wenn nur ein paar Lampen den Raucherplatz erhellen und Zigarettenschwaden die Sicht zusätzlich erschweren. "Wir waren mit meinem Schwager und seiner Frau unterwegs", erzählte ein 53-jähriger Mann. Sie waren draußen, als die Schlägerei losging. "Ich hab‘ genau gesehn, wie eine Person auf einem Mann gesessen hat und ihm am Hals gewürgt hat", sagte er aus. Welches Geschlecht diese Person hatte, konnte er allerdings nicht sagen. Der aktive Feuerwehrmann hatte Ahnung als Ersthelfer, fühlte den Puls und wartete, bis Sanitäter dazukamen. Ansonsten kam wenig Erhellendes bei der Befragung für das Gericht. Kein Wunder, nach zwei Jahren. Ob man da sich noch an jede Einzelheit erinnern kann, ist fraglich. Die 50-jährige Ehefrau sagte beispielsweise: "Wirklich gesehen habe ich nichts." Dann, ein paar Sätze weiter: "Die Hand am Hals habe ich aber genau gesehen."

Ein anderer Zeuge, ein 21-jähriger Mann aus Ornbau war auch beim Rauchen und "sah ein Gerangel und hörte Geschrei". Normal sei es, meinte er, wenn dann "ein Haufen Leut drum rum stehn". Aber mit der Sache wollte er nichts zu tun haben. So ging das einige Zeit. Wieder ein anderer habe gesehen, dass der Angeklagte Leitner trotz Gipsarm (erlitten bei einem Autounfall kurz vor der Tat) zugeschlagen haben soll. Richter, Anwälte, Staatsanwalt Dr. Christian Eberlein und Nebenkläger Michael Stock von der Kanzlei Schacht aus Gunzenhausen, sie alle fragten genau nach, wollten herausfinden, wer nun das Opfer mit Faustschlägen und Fußtritten malträtiert hat.

Bewegung kam in die Verhandlung, als Professor Stephan Seidl, Rechtsmediziner der Uni Erlangen, sein Gutachten vortrug. Das Überraschende dabei: Es gibt keinen Beleg dafür, dass mit dem Gipsarm zugeschlagen wurde. Angriffe gegen den Hals sind prinzipiell lebensbedrohlich, führte der Forensiker weiter aus, aber auch hier könne nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass tatsächlich das Opfer gewürgt wurde.

Richter Soldner rekapitulierte noch einmal das Geschehen. Demnach ging die Aggression eindeutig vom späteren Opfer aus. Ein Wort gab das andere, die Beleidigungen wurden "dank" Alkoholgenuss gröber und deftiger, irgendwann reichte es den Beteiligten, sie gingen nach draußen, und der Rest ist bekannt — oder blieb im wahrsten Sinn des Wortes, im Dunkeln. Wer hat geschoben, wer hat geschlagen? So heftig war es auch wieder nicht, "denn die Verletzungen waren eher geringfügig", so der Richter.

Da Ulrike Storch nicht vorbestraft sei, schlug der Vorsitzende vor, die Angeklagte gegen eine Geldauflage in Höhe eines Nettoeinkommens, also 1200 Euro, einzustellen. Die anderen Verfahrensbeteiligten waren damit einverstanden. 200 Euro soll der Geschädigte erhalten, die Restsumme kassiert die Staatskasse.

Der Hauptangeklagte, so Verteidiger Detlev Justen in seinem Schlussplädoyer, solle für alle Verletzungen verantwortlich gemacht werden. Von ihm aber sei keine Aggression ausgegangen, er habe nur seiner Schwester zur Hilfe kommen wollen. Es gebe keine Belege für einen Schlag seines Mandanten, betonte der Verteidiger und forderte Freispruch, denn: "Er kann nur verantwortlich für Taten gemacht werden, die er selbst begangen hat." Staatsanwalt Christian Eberlein stimmte in seiner Einschätzung "im Großen und Ganzen" dem Verteidiger zu. So blieb am Ende des Tages eine nicht restlos aufzuklärende Tat.

In dubio pro reo. Ein Richter darf einen Angeklagten nur dann verurteilen, wenn an seiner Schuld keinerlei Zweifel bestehen. Richter Matthias Soldner handelte nach diesem alten und doch so wichtigen Verfahrensgrundsatz und sprach Ludwig Leitner frei.

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