Gunzenhausen: Biedermann mit bösen Pointen

6.3.2017, 06:21 Uhr
Gunzenhausen: Biedermann mit bösen Pointen

© Kristy Husz

Nur allzu gern waren die Gunzenhäuser dabei, als der "digitale Einwanderer mit analogem Migrationshintergrund" und "freundliche Liftboy auf der globalen Palliativstation" mit ihnen nichts als die Ebene der reinen Vernunft anzusteuern versuchte – und dafür gute zwei Stunden zwischen Lügen und Ängsten, Wut und Hass einer als postfaktisch bezeichneten Epoche umhermanövrierte.

Sein arglos anmutendes Biedermannkostüm aus Hütchen, Karohemd und neckischem Herrenhanddäschle sitzt vortrefflich, die Salve böser Pointen ebenso. Erwin Pelzig – seit über 20 Jahren unterfränkisch spitzzüngelndes Alter Ego des Würzburger Kabarettisten Frank-Markus Barwasser – beleuchtet, kommentiert und hinterfragt, er grübelt, nörgelt und frotzelt, bis das Publikum Lachtränen vergießt und unvermeidlich Beifall klatschen muss.

In einer Zeit, in der "die Internationale der Nationalisten" erschreckende Triumphe feiert, eine unmenschliche Abrissbirne zum US-Präsidenten gewählt wurde und sich die restlichen Despoten vermehren wie die Wölfe in Mecklenburg-Vorpommern, kann man, da hat der Satiriker Recht, schon mal die Flucht vor der Apokalypse ergreifen wollen.

Ziemlich zorniger Pelzig

"Weg von hier" sehnen sich, paradoxerweise, jedoch zugleich die vielen weißen, heterosexuellen und frustrierten Männer in der Provinz, die als Opfer von "Denkfaulheit plus Rechtschreibschwäche plus Internetanschluss" in alternative Wirklichkeiten abdriften und Populisten wie dem Nafri ("nordamerikanischer Frisurenidiot") Trump ihre Stimmen schenken. Wahrheit und Anstand bleiben dabei, sehr zum Leidwesen eines ziemlich zornigen Pelzig, immer mehr auf der Strecke.

Doch aufgemerkt! Es existiert ein magisches Werkzeug, mit dem all die Sprachverdreher, Lügner, Hassprediger und politischen Gliedvorzeiger ihre Filterblasen aufstechen und ihr so irrationales wie hinterfotziges Tun erkennen können: der Perspektivenwechsel. Dumm allerdings, wenn selbst dieser lediglich für eigene Zwecke missbraucht wird, wie Pelzig anhand der "Walt-Disney-Methode" veranschaulicht.

Bei dieser an sich respektablen, nach dem legendären Filmproduzenten benannten Kreativstrategie werden im Geiste drei Stühle aufgestellt – einer für den entzückten Träumer, einer für den schwarzmalenden Kritiker und einer für den pragmatischen Realisten. Jedes Vorhaben wird nun aus dem Blickwinkel dieser imaginären Jury betrachtet und soll so in eine alltagstaugliche Handlung münden. Am Beispiel des Humoristen, der in die Altmühlstadt reisen muss, klingt das folgendermaßen:

Der Träumer sagt, "Gunzenhausen ist wunderschön!" Der Kritiker: "Na ja, so schön auch wieder nicht!" Und der Realist: "Egal, du musst dort ja nicht übernachten!" Noch weniger Grund zur Freude liefert das Ergebnis, wenn Erwin Pelzig die Methode mit seinen persönlichen Plagegeistern Recep Tayyip Erdoðan, "Siechmar" Gabriel und Facebook-Boss Mark Zuckerberg durchexerziert.

Gunzenhausen: Biedermann mit bösen Pointen

© Foto: Husz

Am stärksten ist Frank-Markus Barwassers preisgekrönte, leider seit Ende 2015 nicht mehr im Fernsehen zu erlebende Kunstfigur aber jedes Mal, wenn sie sich – erst schelmisch-naiv, dann mit zunehmend Biss – wundert. Etwa darüber, wo die Vernunft denn jetzt tatsächlich geblieben ist. Oder ob es vernünftig ist, mit riesigen Flotten das Meer vor dem Senegal leerzufischen. Und erstaunt zu sein, "wenn der Senegalese danach als sogenannter Wirtschaftsflüchtling zu uns kommt, um zu gucken, was aus dem Fisch geworden ist".

Kontroverse Themen wie diese bieten Pelzig Gelegenheit, seine geschätzten Stammtischfreunde Hartmut und Dr. Göbel zu sich zu bitten. Mit höllischem Tempo wechselt der Kabarettist Barwasser anschließend zwischen seinen drei extrem unterschiedlichen Geschöpfen hin und her, bekundet als Proll Hartmut Interesse an den erwähnten Sexmaschinen, philosophiert bei Bier, Wein und Apfelschorle darüber, ob die Erde – Stichwort alternative Fakten – nicht eigentlich eine Scheibe sei, und erleidet als kauzig-konservativer Dr. Göbel einen Nervenzusammenbruch angesichts der heutigen Fülle an Entscheidungsmöglichkeiten.

Ein erschöpfender Abend, nicht nur für Dr. Göbel, sondern vor allem für den am Ende deutlich ausgepowerten Künstler und seine intellektuell stets geforderten Gäste. Viele der herrlich verschrobenen Bilder und Vergleiche ("wenn man Heuchelei in Energie umwandeln könnte, wäre das fossile Zeitalter längst beendet") sind gerade mal verarbeitet, da jagt schon der nächste Geistesblitz hinterher, oder wird ein bereits abgehaktes Detail nochmals aufgegriffen und in einen anderen, völlig überraschenden Zusammenhang gesetzt.

"Kein Arschloch sein"

Weitschweifig ist das, ja, aber im positiven Sinn. Denn in den zwei Jahren, seit Pelzig zuletzt in Gunzenhausen auftrat, hat die Weltpolitik so schockierende Blüten getrieben, dass man dankbar sein muss, wenn jemand das Chaos hartnäckig und mit durchschlagendem Erfolg lichtet. Was danach als wichtige Hausaufgabe zu erledigen bleibt, hätte selbst der Aufklärer Immanuel Kant nicht genauer formulieren können: "Man soll kein Arschloch sein." Das heißt, mit ein bisschen Anstrengung könnte jeder ein besserer Mensch werden, und "die Zeit würde an unserer Anständigkeit verzweifeln, nicht wir an der Unanständigkeit dieser Zeit".

Der Musterspießbürger Erwin Pelzig will nicht weg von hier, sondern bei diesem wunderbaren Plan den Anfang machen. Gleich morgen. Oder vielleicht – übermorgen.

 

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