Gunzenhausen: Erschütternder Triumph der Tyrannei

28.2.2017, 07:51 Uhr
Gunzenhausen: Erschütternder Triumph der Tyrannei

© Foto: Husz

Die Handlung, zu der sich Fallada auf Vermittlung des Aufbau-Verlags von Berliner Gestapo-Akten inspirieren ließ, beginnt im Sommer 1940. Draußen überzieht Hitler gerade ein Land nach dem anderen mit seinem Kriegsgeschwür. Drinnen, in der Hauptstadtwohnung der Arbeiterfamilie Quangel, regiert währenddessen der Alltag. Anna und Otto sind kleine, eher unpolitische Leute, genießen ihren Feierabend, auf einen Kaffee schaut die Verlobte des Sohnes vorbei. Dann, ohne Vorwarnung, die Nachricht von der Front: Der Sohn ist nicht mehr.

So platzt das ganz reale Grauen der NS-Herrschaft in diesen Haushalt, und nach dem ersten Schock kommen die Fragen: Was nun? Und – was tun? Die Quangels, bisher unauffällige Mitläufer, beschließen, nicht länger mitzuspielen, und rufen auf handgeschriebenen, in Treppenhäusern und Hinterhöfen ausgelegten Postkarten zum Widerstand gegen das Söhne verheizende Terrorregime auf. Ein von Anfang an zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, doch das Ehepaar ist sich sicher, damit gute Samen in einem Acker voller Unkraut zu säen: "Wir werden den Krieg beenden! Wir werden den Führer stürzen!"

Was folgt und keinen im Theaterraum kalt lassen kann, ist ein erschütterndes Lehrstück über einen bis zur letzten Konsequenz aufgebotenen Ungehorsam gegen das, was das Gewissen als falsch erkannt hat.

Gunzenhausen: Erschütternder Triumph der Tyrannei

© Foto: Husz

In allen Rollen perfekt hat Volkmar Kamm sein Schauspiel besetzt, vom gelegenheitsspitzelnden Nachbarn (Aki Tougiannidis) über den vor Neid und Hass geifernden Denunzianten (Uwe-Peter Spinner) bis zum linientreuesten Nazi-Nachwuchs (Serjoscha Ritz). Allen voran sind allerdings Peter Bause und Hellena Büttner als Otto und Anna Quangel zu erwähnen. Dass die beiden namhaften Theater- und Fernsehdarsteller auch im echten Leben miteinander verheiratet sind, ist nur das i-Tüpfelchen ihres bewegenden Auftritts.

"Es geht nicht um uns"

Ottos leiser, aber steter Wandel vom unbeteiligten Durchschnittsbürger zum mutigen Märtyrer ("es geht nicht um uns, es geht um die Sache") wird von Bause präzise nachgezeichnet, während Büttners überzeugende Figur der Anna mit gebrochenem Mutterherzen und aus Glauben an die Kraft der Liebe zur nicht minder entschlossenen Komplizin wird.

Erzählt wird der verzweifelte Kampf gegen Niedertracht und Gewalt der Staatsmaschinerie in reduzierten, eindringlichen Bildern (Kulisse: Konrad Kulke). Mit schwindender Unverletzlichkeit der Quangel’schen Wohnung nimmt auf der Bühne die Beklemmung zu, von dem riesigen Berliner Stadtplan auf dem Polizeirevier schreit den Eheleuten nach zwei in Angst verbrachten Jahren die Chancenlosigkeit ihrer Karten-Aktion entgegen. Und ein monströs alles überragendes Hakenkreuz scheint den finalen Triumph der Tyrannei über die beiden "Volksverräter" zu demonstrieren.

Dass es Widerstand nicht bloß in großangelegter Form gab, dass in den dunkelsten Zeiten Deutschlands immer wieder spontan winzige Lichter aufblinkten, dass mitnichten alles schwarz oder weiß war, hat Hans Fallada zu einer packenden Story verarbeitet. Der 53-jährige Autor, gesundheitlich vollkommen zerrüttet, verfasste seinen umfangreichen Roman in lediglich dreieinhalb Wochen und starb, wenige Monate vor Veröffentlichung, im Februar 1947. Zum internationalen Überraschungsbestseller wurde das wiederentdeckte Buch 2009. Bis heute hat es nichts von seiner Brisanz verloren.

Gerade die vielen Grau-Nuancen des Stoffes sind es, die an diesem Abend in der Stadthalle so manchen Zuschauer zum Nachdenken bringen, zum Beispiel darüber, wie man im Angesicht der Unmenschlichkeit wohl selbst handeln würde: Der Gestapo-Kommissar Escherich (Ralf Grobel) entzieht sich dem Teufel, dem er diente, spät geläutert durch Suizid: Sein Assistent Schröder (Markus Angenvorth) übt mit dezenten Gesten der Humanität unaufhörlich Systemkritik, und ausgerechnet die jetzt so couragierten Quangels haben einst arglos die NSDAP gewählt.

Viele Personen bezahlen in dieser Geschichte ihr Aufbegehren gegen das Unrecht mit dem Leben, jeder für sich allein. Aber das Opfer war nicht umsonst. Es ist eine Mahnung an die Nachgeborenen, wachsam zu sein, allzu einfachen Lösungen zu misstrauen und sich nicht auf Radikalisierungen einzulassen, lange bevor es soweit ist, dass Protest zum Tod führt. Umso schmerzhafter war da die Beobachtung, dass Vertreter der jüngeren Generationen, die wichtigsten Adressaten dieser Botschaft, der Veranstaltung überwiegend fernblieben.

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