Gunzenhausen: Unterwegs mit Diethelm Schoen

29.8.2015, 13:00 Uhr
Gunzenhausen: Unterwegs mit Diethelm Schoen

© Alexander Pfaehler

An die Kinder denkt Diethelm Schoen als Erstes. „Wo sind denn die kleinen Römer?“, fragt er in die Runde, die sich vor der Tourist-Information in der Rathausstraße versammelt hat. Dann dürfen sich alle, die unter 1,50 Meter groß sind, einen Schokoriegel bei ihm abholen. „Mir tun die Kinder immer leid, für die ist das doch langweilig“, sagt Schoen. Und übertreibt damit ein bisschen: Denn spätestens nachdem sie sich Süßes abgeholt haben, sind auch die Kinder bei seiner Römer-Führung durch Gunzenhausen hellwach dabei.

Von den Erwachsenen will Schoen erst einmal etwas anderes wissen: „Wo kommen Sie denn alle her?“ Es interessiert ihn, mit wem er es zu tun hat – und die Touristen kommen aus ganz Deutschland, dieses Mal sind sie aus Baden-Württemberg und von der Nordseeküste ins Seenland gereist. „In der Regel sind auch viele aus dem Ruhrgebiet dabei, das überrascht mich immer wieder“, sagt Schoen.

Bevor er dann auf die Römer zu sprechen kommt, gibt er den etwa 20 Zuhörern erst einmal ein paar grundlegende Dinge über Gunzenhausen – „im Grunde genommen ein Kaff“ (Schoen) – mit auf den Weg. Immer wieder baut er dabei erstaunliche Fakten ein – zum Beispiel, dass Gunzenhausen mit seiner Fläche von 80 bis 90 Quadratkilometern immerhin ein Zehntel der Fläche Berlins einnimmt.

Schoen erklärt, dass Gunzenhausen einst am nördlichen Rand des römischen Weltreiches lag und sich hier ein Kastell befand, dann geht es weiter an die Stelle, an der der Limes einst die Altmühl überquerte. Als es über die Oettinger Straße geht, stellt Schoen sich auf die Fahrbahn und hebt die Hände in die Luft – die Autofahrer gehorchen, halten an und die Touristengruppe tippelt über die Straße. Die Autorität eines langjährigen Gymnasiallehrers hat der 82-Jährige immer noch.

Wie lange er schon als Stadtführer unterwegs ist, kann Schoen nicht genau sagen, es sind aber schon etliche Jahre. Ein gebürtiger Gunzenhäuser ist er nicht: Geboren wurde er in Gleiwitz/Oberschlesien, man hört es an seinem schneidigen Hochdeutsch, die Eltern verschlug es nach dem Krieg in die Oberpfalz und Schoen selbst kam 1959 in den Ort, um eine Lehrerstelle anzutreten. Am Simon-Marius-Gymnasium unterrichtete er Geschichte und Deutsch. Dafür gab er sogar eine ursprünglich einmal angestrebte Journalistenkarriere auf. „Der Lehrerberuf hat mir ganz gut gefallen“, sagt er.

Und weil er studierter Historiker ist, fiel ihm das Einlesen in die Geschichte Gunzenhausens nicht schwer. Und dass er von 1966 bis 2008 für die FDP im Stadtrat saß, hat auch geholfen. Das Gesicht des heutigen Gunzenhausen sei in den Achtzigern und den frühen Neunzigern entstanden, sagt Schoen. In der Innenstadt wurden die Häuser restauriert und die Straßen gepflastert. „Heute staunen die Touristen, wie sauber die Stadt ist“, sagt Diethelm Schoen.

Ein wirklich festes Programm gibt es auch bei den regulären Führungen durch die Stadt nicht, das stimmt Schoen auf die Besucher ab. Wie viele das sind, ist ihm egal – auch für einen einzigen Interessierten marschiert er los. Unbedingt dabei sein müssen auf jeden Fall das Haus des Gastes, die Spitalkirche, das alte Rathaus, das Stadtmuseum, der Marktplatz und das neue Rathaus. Auch zur Mikwe führt Schoen die Touristen häufig und beschreibt dort die jüdische Geschichte der Stadt. Und in die Stadtkirche St. Marien, denn darin befindet sich „eines der besten Kunstwerke, das wir in Westmittelfranken haben“, ist Schoen überzeugt. Das Kruzifix über dem Altar, das vermutlich Giuseppe Volpini Anfang des 18. Jahrhunderts geschaffen hat, habe einmal einen Theologen von der Uni Regensburg zu dem Ausruf gebracht: „Ui, da haben Sie aber etwas Besonderes“, erzählt Schoen. Der Grund: Der Jesus am Kruzifix ist kein Toter, der sein Haupt neigt, sondern trägt den Kopf aufrecht. Und allzu viele lebendige Jesusfiguren am Kreuz gibt es auf der Welt offenbar nicht.

Seine Römer-Führung endet im Museum für Vor- und Frühgeschichte, wo Schoen den Kindern anhand eines Bildes erklärt, wie ein römischer Soldat aussah – und dass die auch schon manchmal eine Glatze hatten. Immer wieder versucht er den Bogen zur Gegenwart zu spannen, zum Beispiel indem er erklärt, dass sich die Römersandalen seit Caesars und Augustus‘ Zeiten nicht groß verändert haben und heute noch an vielen Füßen zu finden sind.

Zum Abschluss gibt er den Touristen aus ganz Deutschland noch einen Tipp mit auf den Weg: „Die Bratwürste in Gunzenhausen sind die besten der Welt.“ Die Besucher klatschen, Schoen sperrt die Tür zu und geht zu seinem Fahrrad – die Führung ist vorbei. Müde ist er seinen Job nicht. „So lange ich laufen kann, mache ich das“, sagt Schoen: „Für einen alten Mann ist es ja ganz angenehm, denn dadurch muss er sein Hirn zusammenhalten.“

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