Gunzenhausen wurde zur Filmkulisse

10.11.2018, 18:20 Uhr
Gunzenhausen wurde zur Filmkulisse

© Bernadette Rauscher

Der Tag verabschiedet sich langsam von einem herbstlichen Gunzenhausen und mit ihm die Hektik der Arbeitswoche. Auf den Straßen wird es ruhiger, in den Fenstern der Häuser gehen die Lichter an, das Leben zieht sich hinter die Gardinen zurück.

Ramona schließt die Augen. Mit einem Spiegel fängt Philippe Gerlach das schummrig orange-gelbe Licht der Straßenlaterne ein und wirft es zurück auf die Jugendliche. Dicht neben Ramona stehen Désirée Pfenninger und Natalie, die mit Handydisplays Ramonas Gesichtshälften blau und grün anleuchten. Julia betrachtet konzentriert das Farbenspiel durch den Bildschirm ihres Smartphones im Aufnahmemodus und gibt Anweisungen: "Mal das grüne Licht weg – das Blaue – und jetzt wieder hin – blau – grün – gelb…" Es braucht nicht viel, um eindrucksvolle Bilder zu schaffen. Manchmal braucht es nur ein Smartphone und eine Straßenlaterne.

Drei Tage sind die drei Mädchen nun schon auf der Suche nach Bildern, Bewegungen und Stimmungen, die sich einfangen lassen. "Wir wollen erstmal so viel Material sammeln wie möglich. Und am letzten Tag schauen wir, was wir daraus machen und schneiden das Ganze", sagt Désirée Pfenninger. Die junge Filmemacherin studierte an der renommierten Filmuniversität Babelsberg und lebt und arbeitet in Berlin, dem kulturellen Schmelztiegel des Landes.

Ideen für eine Serie führten sie nun wieder in die Heimat ihrer Eltern und Großeltern – nach Gunzenhausen. Dort initiierte sie gemeinsam mit dem freien Berliner Fotografen und Filmer Philippe Gerlach und dem Jugendzentrum Gunzenhausen einen Ferien-Filmworkshop für Jugendliche. Ganz ohne große Kamera, Stative, Beleuchtungstechnik. Es soll experimentiert werden – mit Mut und Freude und ohne große Hemmungen. "Wir wollen den Jugendlichen zeigen, dass es keine große Technik braucht, um aktiv zu werden und etwas auf die Beine zu stellen. Dass man alles nutzen kann, was um uns ist und damit schon viel schaffen kann", erklärt Philippe Gerlach.

Faszinierende Bilder

Das Vorhaben scheint zu funktionieren: Julia, Natalie und Ramona wirken begeistert und interessiert, sie stellen Fragen, sie probieren aus, sie bringen sich und ihre Ideen ein. Und sie haben auch schon viel mitnehmen können aus den letzten Tagen: das Wissen über Einstellungsgrößen und das Genre des Experimentalfilms. Was für faszinierende Bilder entstehen können, wenn man einen Wassertropfen auf die Linse der Smartphone-Kamera träufelt und dann eine Blüte davorhält. Oder eine Gummibärchenschlange. Dass ein Netto-Schild auch zur Lichtquelle für filmische Bilder umfunktioniert werden kann.

Philippe Gerlach lächelt und erklärt mit ausladender Geste: "Das hier ist dein Spielplatz. Man guckt sich um und merkt: Es ist eigentlich alles schon da. Ich muss nur wissen, was ich damit mache."

Gunzenhausen wurde zur Filmkulisse

© Bernadette Rauscher

Zum Beispiel mit einem Auto. Gestern öffnete sich mit ihm ein Experimentierraum mit schier endlosen Möglichkeiten: Es gibt Scheinwerfer, es gibt einen Innen- und einen Außenraum, Perspektiven können ausprobiert werden. "Das hat bisher am meisten Spaß gemacht", erzählt Ramona. In der Schule besucht sie eine Film-AG und bringt schon Vorerfahrung in den Workshop mit: "Am Filmen gefällt mir, dass der Filmer nur das zeigt, was er auch zeigen will und der Zuschauer dann auch nur das sieht."

Es sind nicht viele Menschen auf den Straßen unterwegs an einem herbstlich-dunklen Novemberabend. Die Kieselsteinchen knirschen unter den Fußsohlen. "Da drüben ist Licht!", ruft Julia und deutet auf die bläuliche Beleuchtung eines Schaufensters. Und sie hat Recht: Überall ist plötzlich Licht, überall scheinen sich Bilder und Geschichten zu verbergen, die nur darauf warten, entdeckt und filmisch eingefangen zu werden.

Ein bisschen fühlt es sich an, als würden wir zum ersten Mal wirklich die Augen öffnen und sehend durch Gunzenhausen spazieren. Ein guter Film ändere den Blick, sagen die Filmemacher. Der Workshop jedenfalls tut es.

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