Pflegende Angehörige

Gunzenhäuserin pflegt ihren Stiefsohn zuhause

19.5.2018, 07:18 Uhr
Mit viel Einfallsreichtum kümmern sich Irene Beck und ihre Familie um Stefan. So haben sie etwa das Gestell gebaut, das ihm eigenständiges Trinken ermöglicht, und auch der Schreibtisch wurde seinen sich ändernden Bedürfnissen immer wieder angepasst.

© Marianne Natalis Mit viel Einfallsreichtum kümmern sich Irene Beck und ihre Familie um Stefan. So haben sie etwa das Gestell gebaut, das ihm eigenständiges Trinken ermöglicht, und auch der Schreibtisch wurde seinen sich ändernden Bedürfnissen immer wieder angepasst.

Die 58-Jährige kümmert sich seit Jahren um ihren Stiefsohn Stefan Beck, der unter Muskeldystrophie des Typs Becker leidet. Sie kann weder über den medizinischen Dienst, noch die Krankenkasse klagen und hat auch keine Wünsche an die Politik. Warum das so ist, das erläutert sie im Gespräch mit dem Altmühl-Boten.

Mit einem herzlichen Lächeln öffnet Irene Beck die Tür. Sie wirkt nicht gestresst und schon gar nicht überfordert, und das, obwohl Stefan Beck rund um die Uhr auf Pflege angewiesen ist. Zudem arbeitet Irene Beck auch noch 25 Prozent in ihrem Beruf. Die gelernte Krankenschwester ist am Klinikum Altmühlfranken in Gunzenhausen in der Intensivpflege tätig – und das ist ein ganz entscheidender Faktor. Denn Irene Beck ist den Umgang mit hilfsbedürftigen Patienten seit Jahrzehnten gewohnt, sie weiß, welche Handgriffe notwendig sind, um einen Menschen beispielsweise vom Bett in den Rollstuhl zu helfen, wundgelegene Stellen bringen sie nicht aus der Ruhe, der Umgang mit dem Beatmungsgerät ist ihr vertraut.

Vertraut ist ihr von klein auf auch Steff, wie er im Familienkreis heißt. Die Eltern trennten sich kurz nach seiner Geburt, Steff wuchs bei seiner Mutter auf, gehörte aber ebenso zur neuen Familie, die sein Vater Rudi mit Irene Beck gründete. Als Steff fünf Jahre alt war, wurde bei ihm die Erbkrankheit diagnostiziert, die das Muskelgewebe nach und nach zerstört. Eine ganze Weile konnte Steff dennoch eigenständig laufen, doch Mitte der 1990er Jahre zwang ihn die Krankheit in den Rollstuhl.

Hilfe bei jedem Handgriff

Mittlerweile kann der heute 37-Jährige Arme und Beine nicht mehr bewegen, auch die Rumpfmuskulatur fällt nach und nach aus, das Zwerchfell ist betroffen und Stefan Beck braucht Unterstützung beim Atmen. Er braucht im wahrsten Sinne des Wortes für jeden Handgriff Unterstützung, kann er doch gerade mal noch mit zwei Fingern die Computermaus bedienen, wenn seine Hand darauf gelegt wird.

Seit dem Tod seiner Mutter Rosie kümmert sich in der Hauptsache Irene Beck um Stefan, sein Vater Rudi hat mittlerweile aber "auch schon eine gewisse Routine", wie der 37-Jährige augenzwinkernd erzählt. Die beiden Schwestern können Stefan ebenfalls versorgen, und selbst seine beiden gerade einmal dreieinhalbjährigen Nichten haben bereits sein Wohl im Blick, versorgen ihn mit Getränken oder geben Wünsche weiter.

Sicher war es auch von Vorteil, dass Irene und die gesamte Familie Beck nach und nach in die Aufgabe hineingewachsen ist. Dennoch, ihr Beruf als Krankenschwester war und ist ein unschätzbarer Vorteil, nicht nur was die körperliche Pflege betrifft. Viele Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, haben erst einmal keine Ahnung, welche Hilfsmittel ihnen zustehen. Die 58-Jährige dagegen weiß ziemlich genau, was es im Pflegebereich gibt und was sie davon benötigt.

Als klar war, dass Stefan bei der Atmung Unterstützung benötigt, bekamen die Becks das übliche Gerät mit einer Vollmaske. Hatte Stefan die Maske auf, war er kaum mehr zu verstehen, da auch der Mund darunter lag. Das war nicht nur für die Kommunikation mit der Familie schlecht, er konnte auch nicht mehr mit der Spracherkennung am Computer arbeiten, da die Worte einfach zu undeutlich durch die Maske drangen. Auch die Brille passte nicht darunter.

Irene Beck war sich sicher, dass es hier noch eine andere Möglichkeit geben muss — und stieß auf die Nasenmaske. Mit ihrer Hilfe kann Stefan nun wieder seine Tage am PC verbringen, der für ihn das Tor zu Welt ist. Hier kommuniziert er mit den Menschen draußen, er liest Bücher (das E-Book kann er nicht mehr bedienen) und Zeitung, schaut Filme und spielt. Für Stefan und Menschen mit einem ähnlichen Schicksal ist der Computer und das World Wide Web schlicht eine Gnade.

Und der Wirtschaftsinformatiker, der sein Studium an der Ansbacher Hochschule absolviert hat, hätte da auch noch eine Idee, wie ihm selbst Fernreisen möglich wären: Mit einem Roboter, den er von seinem Zimmer aus steuern kann und der ihm alle Bilder ins Haus liefert. "Das wäre eine praktische Erfindung!"

Noch gibt es sie nicht, und ob die Kasse dies als Hilfsmittel anerkennen würde, darf bezweifelt werden. Ansonsten hört man von Stefan und Irene Beck aber über deren Leistungen keinerlei Beschwerden. Sie habe bisher immer alles bekommen, was notwendig sei, betont die Krankenpflegerin. Und wenn es nicht auf Anhieb geklappt hat, dann "mussten wir halt Widerspruch einlegen".

Immer wieder sind auch Klagen über den medizinischen Dienst und dessen Einstufungspraxis zu hören. Nicht jedoch im Hause Beck: "Die Pflegegrade haben sich deutlich verbessert", weiß Irene Beck dank ihrer langjährigen Erfahrung. Stefan ist längst als 24-Stunden-Pflegefall eingestuft, allerdings auf einer anderen Ebene als etwa ein Demenzkranker. Denn er braucht zwar Hilfe bei jeder Tätigkeit — vom Trinken bis zum Toilettengang, vom Essen bis zum am Kopf kratzen —, doch er kann eben auch genau sagen, was er gerade braucht, und ist auch nicht orientierungslos.

Alle drei Monate klingelt ein Mitarbeiter des medizinischen Diensts bei den Becks. Bei diesen Kontrollbesuchen geht es nicht nur um die Pflegestufe, sondern auch und vor allem darum, ob es dem zu Pflegenden auch gut geht. Das ist für Irene Beck vollkommen in Ordnung. Gut findet sie auch, dass die Angehörigen hier hilfreiche Ratschläge erhalten — auch wenn sie selbst die natürlich nicht braucht.

Stefan ist auf Hilfe angewiesen, ohne sie kann er nicht existieren. Deshalb steht für ihn Vertrauen an oberster Stelle. Innerhalb der Familie ist das keine Frage, doch ganz selten muss er sich auch einmal fremden Händen überlassen.

Wie etwa vor kurzem, als sich Irene und Rudi Beck einen ihrer seltenen Urlaube gegönnt haben. Keine einfache Situation für den 37-Jährigen, dessen größte Angst es ist, einem Menschen ausgeliefert zu sein, der seine Bedürfnisse missachtet oder ihm gar Schmerzen zufügt. Noch aber kann er sich auf die Aushilfskräfte verlassen, sie haben bereits Irene Becks Mutter gepflegt. Dennoch kann es dann passieren, dass für Stefans Wohlbefinden wichtige Kleinigkeiten übersehen werden. Etwa, dass Haare kämmen zu den morgendlichen Ritualen gehört. In diesem Fall musste er aber einfach nur sagen, was noch fehlt.

"Am liebsten daheim"

Forderungen an die Politik? Nein, da fällt weder Irene noch Stefan Beck etwas ein. Klar wäre es schön, wenn man mehr Geld hätte, etwa wie Philippe im Film "Ziemlich beste Freunde". So ein Auto mit Hebebühne würde es auch Stefan erleichtern, ab und an mal aus dem Haus zu kommen. Andererseits, wenn er es genau nimmt, dann ist er "gar nicht der Typ, der unbedingt raus muss. Ich bleibe am liebsten daheim."

Und Irene Beck? Die nimmt ihre Situation einfach an und ist keine, die als allererstes nach dem Staat schreit. "Man kann nicht alles abwälzen", sagt sie und weiß: "Du musst halt schauen, wie du zurechtkommst." Und das kriegen die Becks alle zusammen richtig gut hin.

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