"Höchste Eisenbahn" in Muhr am See

16.7.2016, 17:50 Uhr

© Babett Guthmann

Zwei Schwestern sitzen in diesem Eisenbahnabteil, sie sind auf dem Weg nach Lindau, ihrem Sehnsuchtsort mit dort wohnhaftem Sehnsuchtsmann. Doch das ist eher zweitrangig, denn sie werden im Laufe des Stücks gar nicht ankommen, vielmehr führt uns Mirko Trott in seiner Inszenierung durchs Schlachtfeld eines schwesterlich geteilten Lebens, das die beiden Protagonistinnen in bissigen Dialogen Revue passieren lassen.

Als Emmy und Betty die Bühne betreten, ist der Kampf schon im Gange: Das Eisenbahnabteil ist überheizt und total vermüllt, Schuld ist natürlich die lebenstüchtige Emmy, die ja für die Reservierung gesorgt hat. Für die Zuschauer erscheint der Streit zunächst harmlos und überhaupt kann man sich kaum von dem schönen Bühnenbild losreißen: So hässlich kann tatsächlich nur die deutsche Bahn, und Bühnenbildner Martin Riedl hat das so gut nachvollzogen, dass man schmunzeln muss.

Wo kriegt man nur so einen eierschalenbeige-dumpfgrau gestreiften Vorhangstoff her? Riedl hat daran gedacht, dass Fenster in der zweiten Klasse unbedingt klemmen und Heizungen entweder durchglühen oder kalt bleiben müssen. Der Abfallbehälter und das kleine Tischbrett am Fenster sind viel zu klein, dafür dominieren die Gepäckablagen, die eine klaustrophobische Abteilatmosphäre garantieren, sobald die großen Koffer dort hinaufgewuchtet worden sind.

Auch der Blick aus dem Abteilfenster macht dem Premierenpublikum Spaß: Hier läuft ein Film ab, beginnend am Bahnhof in Gunzenhausen, und als der Zug in Fahrt kommt versteht man schnell: Für den ins Abteilfenster gebeamten Film ist der Kameramann tatsächlich mit dem Zug nach Treuchtlingen gefahren und hat die ganze Zeit den Blick aus dem Zugfenster gefilmt. Leider besteht Betty noch im ersten Teil des Stücks darauf, den Vorhang zuzuziehen.

Dann sind wir Zuschauer endgültig mit Betty und Emmy und diesem total verkorksten gemeinsamen Leben der beiden eingesperrt. Kammerspiel, Psychodrama – anstrengend: Papa hat Emmy bevorzugt, Mutti mit Betty geklüngelt. Viel zu früh ist Papa, der Arzt in Berlin, gestorben, dann kam der Umzug nach Bayreuth, und Mutti baute mit den Schwestern das Lebensmittelgeschäft auf. Ein Fluch, dieses Geschäft, das die ungleichen Schwestern noch heute aneinanderfesselt. Aushalten lässt sich so ein gemeinsames Schicksal nur, wenn man sticheln und meckern kann. Die eigene Unzufriedenheit muss sich in bösen Triaden auf die ebenso gescheiterte Schwester entladen. Jede muss als Zielscheibe für der anderen Spott herhalten, sogar in den Zuschauerreihen zieht man den Nacken ein, wenn es gegenseitige Vorwürfe hagelt: „Ich verkümmere neben dir, und du merkst es nicht einmal!“

Ursula B. Kannengießer und Tina-Nicole Kaiser bauen gekonnt eine unerträgliche Vertrautheit zwischen den Schwestern auf. Nur mit Gemeinheiten und verbalen Ohrfeigen können die doch sehr unterschiedlichen Frauen es nebeneinander aushalten. Ursula B. Kannengießer als Emmy ist die Lebenstüchtige, die Patente. So eine Schwester reserviert Plätze im richtigen Kurswagen, schmiert stapelweise Stullen und findet stets eine Gelegenheit für einen heimlichen Schluck aus dem Flachmann.

Die Kannengießer ist eine geborene Kusz-Darstellerin, sie spricht zwar in diesem Stück nicht Fränkisch, doch hat sie die richtige „Schnäbbern“ für die Konter, die ihr der Autor reihenweise in den Mund legt. Sie kann ihrer Schwester Betty schon mal kurz die kalte Schulter zeigen, doch wirklich kalt ist sie nicht. Ein Typ, der die anderen an sich rankommen lässt. Das hat dem im Publikum sitzenden Autor bestimmt gefallen!

Ein bisschen anders ist Tina-Nicole Kaiser zu sehen. Sie gibt der menschenscheuen und ängstlichen Betty zu viel Blasiertheit mit. Mir war sie zu wenig Schwester, fast als würde sie durch eine Glasscheibe hindurch mit Emmy kommunizieren. Eine Kusz-Figur muss, wenngleich sie auch nicht die Sympathie für sich gewinnen kann, doch stets das Herz am rechten Fleck haben. Kusz schreibt Rollen für Gescheiterte, deren guten Kern er aber nie aus dem Auge verliert!

Dass die Schwestern bei aller Diskussion kaum vom Fleck kommen, ist klar: Sonst hätten sie dieses Leben, das einer schlechten Ehe in vielen Facetten gleicht, ja nicht eine gefühlte Ewigkeit lang geführt. Doch Routinier Kusz hat natürlich den einen oder anderen Wendepunkt eingearbeitet – lassen Sie sich bei den Aufführungen am heutigen Samstag und am Sonntag, 17. Juli, jeweils um 20 Uhr im Schlossgarten in Altenmuhr überraschen!

Oder verwirklichen Sie Plan B, denn mein Fazit kann ich als Kusz-Fan nur in fränkischer Grammatik formulieren: Wenn ich Ihr wär, dann würde ich mich warm anziehen, die Sofadecke einpacken und mir die „Höchste Eisenbahn“ am Freitag, 29. Juli, um 20 Uhr im Falkengarten anschauen.

 

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